Amerikanische Reise
ein einziger Sauhaufen ist. Er hat von irgendwelchen Indios geschwärmt. Ich
hab ihm von der Schubumkehr erzählt.«
Kristin lacht, wie sie immer gelacht hat: ein Schmetterling, den sie schnell wieder einfängt.
»Ich habe ihm gesagt, daß der, den ich besuche, an der |44|
Wall Street
arbeitet. Danach ist das Gespräch eingeschlafen.« Kristin hat den Blick gesenkt und starrt ihre Bierdose an. Sie spielt mit
dem Aluring. Ihr Handgelenk ist sehnig, als hätte man ein Bündelchen Reisig mit weißem Leinen bespannt. »Walter arbeitet nicht
an der
Wall Street.«
Jan ist sich nicht sicher, ob sie es als Richtigstellung oder als Kritik meint. Einen Teil ihrer Unbefangenheit hat sie verloren.
»Ich meine, auf ein paar hundert Meter kommt es nicht an«, sagt er. Es reizt ihn, bei dem Thema zu bleiben.
Seit ein paar Minuten scheint die Sonne durch eins der Fenster auf die Jugendstilvitrine. Die klaren oder goldenen Flüssigkeiten
in den Karaffen darauf leuchten. Kristin schlägt ein Bein unter das andere und zieht es zu einem halben Yogasitz hoch.
»Er hängt sich zu sehr an Neil«, sagt sie.
»Neil?«
»Sein Arbeitskollege. Er läuft seit Jahren mit einem Handy durch die Gegend und hofft, daß Donald Trump ihn anruft. Aber es
ist immer nur seine Frau.«
Jan spürt, daß sie sich wirklich darüber ärgert, was er nicht versteht. Er findet die Tatsache, daß jemand auf ein Wunder
hofft, eher amüsant.
»Und Cindy, seine Frau, ist neurotisch«, fährt Kristin fort. »Sie treibt Neil von einer abenteuerlichen Transaktion in die
nächste. Ihren Lebensstil können sie sich hinten und vorne nicht leisten. Anstatt sich mit einer amerikanischen Waschmaschine
zufriedenzugeben, wollte Cindy eine
Miele,
die sie auf Pump gekauft haben. Irgendwann sind sie pleite, oder Cindy treibt Neil zu einem Bankraub.«
Jan trinkt sein Bier aus. »Solange Walter nicht Schmiere steht.«
|45| Kristin stellt ihre Bierdose auf den Tisch und knetet gedankenverloren mit der rechten Hand eine Stelle auf ihrer linken Schulter.
»Walter glaubt, daß ich Cindy aus europäischer Überheblichkeit nicht mag.«
Jan sieht sie an. »Und?«
Kristin nimmt ihr Bier wieder in die Hand. »Walter hat in Deutschland schlechte Erfahrungen gemacht. Er denkt nicht wirklich
über die Dinge nach.« Sie legt ihren Kopf in den Nacken und läßt ihn ein paarmal kreisen. Dann sieht sie Jan an und lächelt.
»Das ist alles nicht so wichtig.« Sie versucht, ihren unbeschwerten Tonfall wiederzufinden. »Wie geht es dir?«
Die Sonne ist weitergewandert und fällt jetzt auf das Foto von Kristin. Es kommt Jan vor, als liege in ihrem Blick irgendein
Versprechen. Er ist noch einmal überrascht, wie wenig sie sich verändert hat. Er sieht sie an: »Ich bin mir nicht sicher«,
sagt er. »Ich glaube, gut.«
Kristin schlägt ihre Augen nieder und trinkt ihr Bier aus. »Walter hat angerufen, als du unter der Dusche warst«, sagt sie
kühl und knotet ihre Beine auseinander. »Er schafft es natürlich nicht. Wir treffen uns im Restaurant.« Sie steht auf. »Ich
dusche kurz, dann fahren wir los.«
Jan nickt. Sie geht hinaus. Das abrupte Ende des Gesprächs hat ihn verstimmt. Er steht auf, schlendert durch den Raum und
setzt sich schließlich auf den Schreibtischstuhl. Er stößt sich mit den Füßen ab und rollt einen Meter über das Parkett. Er
sieht hinaus auf die schmucklosen Fassaden und die abtauchende Sonne. Insgesamt könnte sein Besuch das Ergebnis eines Mißverständnisses
sein: Vielleicht hat sich Walter dazu verpflichtet gefühlt, ihn einzuladen, so wie Jan sich verpflichtet gefühlt hat, die
Einladung anzunehmen.
Jan steht auf und geht in die Küche. In der Maschine befindet |46| sich noch der Kaffee, den Kristin bei seiner Ankunft aufgesetzt hat. Er öffnet die Hängeschränke, findet eine Tasse, gießt
sich ein und nimmt die Milchflasche aus dem Kühlschrank. Ein leichter Kopfschmerz hat sich zwischen seiner Nasenwurzel und
dem rechten Haaransatz eingenistet. Er gießt Milch in den Kaffee, der sich mausgrau färbt.
Walters Ansichten erscheinen Jan viel zu simpel. Er tut so, als sei das Leben ein Autorennen: Wer am meisten Gas gibt, kommt
am schnellsten voran. Hin und wieder wundert sich Jan, daß solche Denkansätze erfolgreich sind. Er hadert nicht damit, wie
die Welt ist, weil sich jeder seinen Platz aussuchen kann, so wie er sich seinen ausgesucht hat. Es ist ein theoretisches
Mißvergnügen, das er empfindet: Wenn
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