Amerikanische Reise
ihrer
Jeans und dem Hemd festgesaugt hat.
Sie richtet sich auf und drückt ihm ein Paket Frottee in die Hand. Sie lächelt und kneift die Augen kurz zusammen, dann geht
sie aus dem Bad und schließt die Tür. Noch eine Weile spürt Jan ihre Anwesenheit, und er fühlt sich wohl. |39| Jan stellt sich in die Dusche und dreht das Wasser auf. Die Tropfen prasseln gegen die milchige Kabinenwand, ein eintöniges,
aber beruhigendes Geräusch. Er versucht, in sich selbst Ruhe zu schaffen und eine Klarheit zu erhalten darüber, was in ihm
seit Beginn der Reise vorgeht. Seit er sich ins Taxi gesetzt hat, erscheint ihm Kristin wie eine Erinnerung an bessere Zeiten,
die noch eine Oase des Friedens und der Harmonie waren und die hinter sich gelassen zu haben einem wie ein grundlegender Fehler
vorkommt. Als sei man mit den Jahren nicht klüger geworden, sondern habe sich statt dessen mehr und mehr in Eitelkeiten und
Egoismen verstrickt. Aber wieso ausgerechnet Kristin, und woher überhaupt die Sehnsucht? Jan hat nie Glück und Harmonie gesucht,
und der Wunsch danach ist ihm stets fremd geblieben. Er hat darin immer nur eine Täuschung sehen können, und er glaubt, daß
es an der Zeit ist zu lernen, ohne sie auszukommen. Sinnvoll erscheint es ihm, sich das Leben möglichst angenehm einzurichten,
ohne darüber hinaus etwas von ihm zu verlangen. Die meisten, die nach mehr strebten, waren unglücklich, ein Unglück, für das
Jan kein Mitgefühl hatte. Jeder besaß die Chance zu sehen, daß es nicht mehr gab, als es gab, und wer sich damit nicht abfinden
wollte, war für die Folgen selbst verantwortlich.
Als Walter Kristin kennenlernte, beruhte die schnelle und sehr stabile Anziehung zwischen ihnen auf ihrer Gegensätzlichkeit.
Walter machte sich nicht allzu viele Gedanken über das Leben, während Kristin zum Grüblerischen neigte. Als Frau mit mathematischer
Begabung war sie gezwungen, ihre Rolle selbst zu definieren, da die Gesellschaft kein erprobtes Muster anbot. Entweder sie
übernahm die Spielregeln einer Männerdomäne, oder sie mußte sich ihre eigenen Regeln schaffen. In dieser Situation |40| übte Walter eine starke Anziehung auf sie aus: Er war selbstsicher, wo sie zweifelte, er verstand sich mit den meisten gut,
sie nur mit wenigen, er wußte, was er wollte, sie wußte nur, was sie nicht wollte. Trotz dieser Unterschiedlichkeit taten
sie aber durchaus Vergleichbares: Sie jonglierten mit Zahlen; sie abstrakt und er konkret.
Die durch die Reise in Gang gekommene Erinnerung an Kristin verwirrte Jan. Sie hatten sich früher gelegentlich zueinander
hingezogen gefühlt, meist nachdem sie lange miteinander geredet hatten und beiden klar wurde, daß sie sich mit niemandem sonst
vergleichbar offen unterhalten konnten. Aber Kristin wußte, daß Jan nicht bereit sein würde, auf seine häufig wechselnden
Liebschaften zu verzichten, und er wußte es auch. Kristin hatte keine Lust, eine von vielen zu sein. Sie sah in Jan einen
Bruder, mit dem sie über vieles besser reden konnte als mit ihrem Mann, und dabei blieb es für sie.
Auch Jan hat ihr Verhältnis immer so gesehen – bis zu ihrer Abschiedszigarette. Die Stimmung, die sich für ihn damals einstellte,
hatte ihn durcheinandergebracht, eine Irritation ohne Folgen allerdings, weil es ihre letzte Begegnung für vier Jahre war.
Und jetzt ist er nichts als ein Urlauber, der in zwei Wochen wieder zurückkehren wird. Alles wird bleiben, wie es ist. Jan
stellt das Wasser ab und öffnet die Duschkabine. Das Handtuch, das Kristin ihm gegeben hat, ist weich. Seine eigenen schaukeln
wie Schilder auf der Leine. Er nimmt seine Rasierseife und den Pinsel und stellt sie zwischen Kosmetika und Duftwässer vor
den Spiegel. Amerikanische Badezimmer, stellt er fest, sehen auf den ersten Blick nicht anders aus als europäische – die Wasserhähne,
bemerkt er, sind anders aufzudrehen, nach innen auf, nach außen zu. Ansonsten gibt es die gleichen Duschgelflaschen und Zahnpastatuben,
lediglich |41| die Markennamen und die Logos sind andere – Fehler bei einem Suchbild. Die Parfums wiederum sind international, offensichtlich
benutzt Walter
Photo.
Daneben steht ein Fläschchen mit Eau de toilette:
Calvin Klein, Obsession.
Jan nimmt den Rasierer aus dem Kulturbeutel und zieht knisternd hautfarbene Schneisen in den Schaum auf seiner Wange. Er denkt
an die leinwandgroße
Calvin Klein -
Werbung am Times Square: schwarzweiß fotografierte Haut.
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