Amerikanische Reise
Ginge es nach der Parfumreklame, würde man den ganzen Tag vögeln.
Vermutlich büßen erotische Verheißungen niemals an Kraft ein. Jan denkt an den weißen Streifen Haut zwischen Kristins Hemd
und dem Bund ihrer Jeans.
Vor gut zehn Jahren ist er mit Walter in einem Amsterdamer Bordell gewesen. Er fühlte sich der Hure unterlegen und gab sich
an der Bar trotzdem Mühe, nicht als einer aufzufallen, der das erste Mal da ist. Es gelang ihm nicht, sich zu fühlen wie in
einem Kaufhaus, das man verläßt, wenn man nichts findet. Er sah die Prostituierte an und dachte, ich schaff das schon. Walter
hatte eine junge Asiatin. Jan folgte seiner Holländerin, deren Waden sich über den Fesseln weiteten wie auf den Kopf gestellte
Bowling-Kegel. Er mußte sich waschen, auf dem Becken stand eine Plastikflasche mit Pumpmechanismus. Jan drückte die aufgesteckte
Tülle hinunter, und aus der Düse spritzte Seife, dann quoll die weiße Paste in seine Hand. Als die Holländerin später sein
Glied bearbeitete, tat sich nicht viel. Er starrte auf die Kleenex-Rolle am Fußende des Bettes. Irgendwann sagte sie: Nun
kommen wir mal schön! Sie hatte einen holländischen Akzent, sprach das K hart und das O kehlig. Walter behauptete hinterher,
mit seiner Asiatin wäre es heiß gewesen. Seit damals denkt Jan, daß Männer im Bordell nicht für den Geschlechtsverkehr bezahlen,
sondern sich das Schweigen der Frauen erkaufen.
|42| Jan spült den restlichen Schaum mit Wasser ab und trocknet sein Gesicht. Eine Stunde nachdem Walter und er aus dem Bordell
raus waren, haben sie Kristin kennengelernt, die damals mit einem Freund geigespielend durch Fußgängerzonen zog – und in wenigen
Minuten wird sie Jan in ihrer Futongarnitur gegenübersitzen, allein. Er ist nach wie vor nervös.
Er zieht sich an, öffnet die Tür des Bads und geht ins Wohnzimmer. Kristin sitzt vor dem Monitor und tippt in Tabellen herum.
Sie sieht auf. »Bier ist im Kühlschrank«, sagt sie. Jan geht in die Küche. Der Kühlschrank, stellt er fest, ist wirklich ein
Schrank, im Gegensatz zu den europäischen, den Schränkchen. Jan nimmt eine der weißen Bierdosen mit großer blauer Aufschrift:
Miller Lite, The Great Tasting, Less Filling Premium Beer.
Er geht zurück ins Wohnzimmer. »Börsentabellen?«
Kristin schaltet den Monitor ab, das Bild sinkt in sich zusammen und sammelt sich in einem weißen Punkt, der sich langsam
auflöst.
»Ich mache die Buchhaltung für eine Galerie. Ich glaube, ich hab’s dir mal geschrieben.«
Jan nickt. Er streckt sich auf der Couch aus. So schlecht wie sein Ruf ist das amerikanische Bier nicht, denkt er und balanciert
die Dose auf dem Bauch.
»Wie war die Reise?« fragt Kristin und setzt sich in einen der Sessel.
»Eigentlich ist New York ja nicht weiter als München oder Köln«, sagt Jan. Er ist froh, daß Walter nicht da ist. Er sieht
Kristin an. Sie streicht sich die Haare hinters Ohr, steht wieder auf und geht hinaus. »Eine Sieben-vier-sieben?« ruft sie
aus der Küche.
»Eine Sieben-sechs-sieben«, ruft Jan zurück. Die Ungezwungenheit, mit der das Gespräch in Gang kommt, gefällt |43| ihm. Er entspannt sich. Kristin kommt mit einer Dose Bier ins Zimmer. »Vor kurzem habe ich im
Spiegel
gelesen, daß bei der vor Jahren abgestürzten
Lauda-Air- Maschine
die Schubumkehr defekt gewesen ist. Eine Sieben-sechs-sieben.«
Jan nickt. »Du kannst ja nicht zum Captain gehen und ihn fragen, ob er den
Spiegel
gelesen hat.«
Kristin setzt sich wieder und öffnet ihre Bierdose. »Sie machen denselben Fehler nicht zweimal.«
Jan hebt die Schultern. »Kürzer und schmerzloser als bei einem Absturz geht es doch nicht.«
Kristin trinkt einen Schluck. »Immer noch der alte«, sagt sie und sieht Jan mit leicht zusammengekniffenen Augen an. »Sagt
dir
Shoemaker-Levi
etwas?«
Jan schüttelt den Kopf.
»Ist ein Komet, der in einer Woche auf den Jupiter stürzen wird«, erklärt Kristin.
Jan erinnert sich an irgendeine Zeitungsmeldung in dem Zusammenhang. »Du meinst, diese Woche hätte nichts passieren können?«
sagt er.
»Jedenfalls wird es Leute geben, die du nächste Woche in keine Maschine kriegst«, sagt Kristin lächelnd. Jan versucht in ihrem
Gesicht Veränderungen aufzuspüren. Er ist sich nicht sicher. Ihre Wangenknochen sind weniger ausgeprägt als in seiner Erinnerung.
»Ab London«, sagt er, »habe ich neben einem gesessen, der den
Spiegel
liest, um amtlich zu haben, daß die ganze Welt
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