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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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die Welt komplex ist, warum sind dann nicht auch die Erfolgsstrategien komplex? Vermutlich
     sieht Walter es genau andersherum. Mit verworrenen Theorien kann man in einer im Grunde einfachen und klaren Welt nichts werden.
     Darum mißtraut er Kristins Galerie, weil er Kunst generell im Verdacht hat, alles viel zu kompliziert zu machen.
    Walter hat gerne Thesen aufgestellt über die heilende Kraft des Kapitalismus. Vor ihrem Bordellbesuch hatte er behauptet,
     Sex werde in hundert Jahren eine normale Dienstleistung sein. Der freie Markt habe für einen in der Weltgeschichte noch nie
     erreichten Grad an Verteilungsgerechtigkeit gesorgt. Wenn jeder ein Auto habe und einen Fernseher, warum dann nicht auch guten
     Sex? So wie es aussieht, denkt Jan, ist er selbst, was diesen Punkt betrifft, logischer vorgegangen als Walter. Er hat den
     guten Sex jetzt.
    Walter redete früher viel über Frauen, hatte aber weniger Erfolg bei ihnen als Jan, der fast nie von seinen Freundinnen |47| sprach. Und wenn Walter über Frauen redete, berichtete er von leichten, unbeschwerten Flirts oder pikanten erotischen Abenteuern.
     Angesichts seiner eigenen Erfahrungen hielt Jan das meiste für erfunden. So auch Walters Behauptung, mit seiner Asiatin sei
     es heiß gewesen. Jan fragte sich, für wen? Als überzeugter Anhänger der Leistungsgesellschaft, dachte er, hatte Walter sich
     zweifellos Mühe gegeben.
    Jan muß an das Foto im Wohnzimmer denken, das Kristin in einem zu großen Trenchcoat zeigt. Es ist kein kompliziertes Foto,
     sondern im Gegenteil ein Foto, das den Betrachter mit einer einfachen Botschaft verführt: mit der Vorstellung, sie könne unter
     dem Mantel nackt sein. Wie viele Frauen, denkt Jan, haben bereits nackt auf seiner Bettkante gesessen? Walter bleibt nur die
     Eifersucht. Fotografen haben nicht den besten Ruf.
     
    Der biblische Satz
Du sollst dir kein Bildnis machen,
wird zumeist als Verbot gelesen, Gott darzustellen, um zu verhindern, daß irgendwann statt Gott nur noch ein Bild oder eine
     Statue verehrt wird. Dem ersten Gebot folgt aber ein Nachsatz, der sehr genau beschreibt, worum es geht:   …
und zwar irgendein Abbild von etwas, was droben im Himmel oder was unten auf der Erde oder was im Wasser unter der Erde ist!
Es geht also nicht nur um Gott, sondern das Bildnis-Verbot ist umfassend und kompromißlos: Jede Darstellung, sei es die Gottes
     oder die der Welt, ist zu verurteilen.
    Der Grund für dieses Verdikt kann nicht sein, wessen man Religionen sehr schnell verdächtigt: dem Leben jede Sinnlichkeit
     und Freude zu nehmen. Denn es wird nicht gleichzeitig verboten, keine Musik mehr zu komponieren beispielsweise oder kein Parfum
     mehr herzustellen. Offenbar wurde zu mosaischen Zeiten in einer Verbildlichung |48| der Welt eine der größten Gefahren für das Wohl der Menschheit beziehungsweise des jüdischen Volkes gesehen.
    Heute läßt sich feststellen, daß das Verbot von Bildern erfolglos gewesen ist. Zweifellos hat noch kein Zeitalter so viele
     Bilder hervorgebracht wie die Moderne, und ein Ende dieses Prozesses ist noch nicht in Sicht. Die Produktion von Bildern ist
     zu einem bedeutenden Industriezweig geworden, dessen Expansionsdrang durch keinerlei Selbstzweifel gebrochen ist. Die Philosophie
     begleitet den ganzen Vorgang mit einer Art Galgenhumor. Es wird die Frage gestellt:
Gibt es noch Wirklichkeit?,
und die Antwort folgt sogleich:
Wirklichkeit wird, was die Bilder sagen, und nicht umgekehrt.
Nichts mehr ist sicher, alles könnte so sein oder auch anders, aber immerhin haben die Philosophen das Zauberwort gefunden,
     mit dem sich das ganze Durcheinander beschreiben läßt: Wir leben im Zeitalter der
Simulation.
    Das Zentrum der Bild-, und damit, wenn die Philosophen recht haben, der Wirklichkeitsproduktion sind die USA, ist Hollywood.
     In der Welt der Bilder hat Amerika die Moderne längst erobert. Es ist merkwürdig: Sobald irgendwo die abendliche Lichtskyline
     einer Metropole auftaucht, sieht man wie von selbst eine amerikanische Stadt, und wenn ein Roadmovie nicht durchs
Monument Valley
führt, hat man den Eindruck, daß etwas nicht stimmt. Das kann nur am Marketing liegen. Vor Jahren hat Hollywood mit
Koyaniskatsi
(Prophezeihung, ausgerechnet ein Wort aus einer Indianersprache) einen Film herausgebracht, der scheinbar kritisch mit der
     Gegenwart umsprang und doch nur über Wüsten quellende Gewitterwolken oder in der Nacht auf Schnellstraßen zittrig dahinflitzende
     Rücklichter als

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