Amerikanische Reise
Weise wehrt, wie sie es erwartet hat, ist für sie der Beweis, daß Cindys Darstellung in allen Einzelheiten
stimmt. »Du solltest dich reden hören«, sagt sie. »Es ist doch völlig unerheblich,
wo
die Whiskeyflasche gestanden hat. Wie lächerlich, was du da sagst.«
»Lächerlich?« Walter hält sich zurück, weil er das Gefühl |151| hat, zu einem richtigen Wutausbruch noch nicht das Recht zu haben. »Neil hat
mich
betrogen. Damit hat es schließlich angefangen.«
Seine Erregung erreicht Kristin nicht. »Was spielt das für eine Rolle«, sagt sie, und ihre Stimme beginnt zu flackern wie
eine Glühbirne, die kurz vor ihrem Ende steht. »Warum hast du denn nicht Neil vergewaltigt?«
Walter antwortet nicht direkt. Er verflucht Neil, der ihn nicht nur finanziell ruiniert, sondern ihn durch die Vögelei mit
seiner Sekretärin oder mit wem auch immer erst recht ins Unglück gestoßen hat. Wäre er zu Hause gewesen, hätte Walter seinen
Haß an dem entladen können, der ihn verdient hatte, und keiner hätte ihm einen Strick daraus gedreht. Walters Zorn richtet
sich jetzt gegen Neil. »Versetz dich doch in meine Lage«, sagt er. »Neil hat unter meinem Namen zweihunderttausend Dollar
verspekuliert. Und am Telefon will er von der Geschichte nichts wissen. Der Mann hat mit seiner Nachlässigkeit und Habgier
meine Existenz zerstört.«
»Deine
Existenz.« Kristin sieht ihn an wie einen Schwachsinnigen, der auf der Straße lautstark den Weltuntergang verkündet.
»Mein Gott, ja:
unsere
Existenz.« Walter hat den Faden verloren und besinnt sich kurz. »Aber du warst nicht da«, fügt er hinzu. »Du warst mit Jan
unterwegs.«
Die Bemerkung holt Jan aus seiner Beobachterposition wieder zurück in den Raum. Aber weder Walter noch Kristin nehmen Notiz
von seiner Rückkehr.
Kristin bleibt verschlossen. Alle Versuche Walters, sie wenigstens zu einem Wutausbruch zu treiben, mit dem er vielleicht
umgehen könnte, schlagen fehl. »Ich war nicht da«, sagt sie leise, »das stimmt. Aber es entschuldigt nichts.«
|152| »Ich will nichts entschuldigen«, sagt Walter. »Ich will versuchen zu erklären, warum es passiert ist.«
Kristin glaubt nicht mehr an den Nutzen des Gesprächs und sie hat auch nicht mehr die Kraft dazu. Sie sieht nicht, daß noch
etwas zu ändern wäre. Es ist eine Tatsache, daß sie ab heute mit einem Mann zusammenlebt, der eine Frau vergewaltigt hat.
»Wie soll es denn jetzt weitergehen?« fragt sie, und diese Frage ist keine Rhetorik. Sie weiß es wirklich nicht. Walter wird
wieder ruhiger. Wer fragt, wie es weitergehen soll, denkt er, hat schon den ersten Schritt getan, das Vergangene zu begraben.
»Ich habe einen Fehler gemacht«, sagt er reumütig. »Einen schweren Fehler. Ich kann versuchen, wieder alles in Ordnung zu
bringen. Ich werde mit Cindy reden. Oder wir treffen uns gemeinsam mit Cindy und Neil und reden darüber. Neil hat einen Fehler
gemacht, ich habe einen Fehler gemacht. Es
muß
möglich sein, über alles zu reden.«
Tränen beginnen über Kristins Gesicht zu kriechen. »Ich bin schwanger«, sagt sie. »Das ist kein Unfall, über den man reden
kann.« Sie stiert durch die Feuchtigkeit in ihren Augen auf die erkalteten Spaghetti. »Ich kann nicht mehr«, sagt sie und
steht auf. Sie geht, ohne sich umzudrehen, langsam über den Flur ins Schlafzimmer und schließt die Tür hinter sich.
Walter sieht ihr regungslos nach. Daß sie aufgestanden ist und unter Tränen den Raum verlassen hat, erschüttert ihn. Andererseits
wehrt sich etwas in ihm dagegen, sich endgültig zum Schwein stempeln zu lassen. Er glaubt, die Dialektik des Verbrechens auf
seiner Seite zu haben: Jeder Täter ist gleichzeitig auch Opfer. Und er verlangt für sich nicht mehr, als sich für jeden Täter
aus dieser Gleichung ergibt: mildernde Umstände.
Während Walter immer noch dorthin sieht, wo Kristin |153| verschwunden ist, trifft Jan eine längst fällige Entscheidung. Er steht auf und bleibt einen Moment vor dem Stuhl stehen.
»Ich suche mir besser ein Hotelzimmer«, sagt er.
Walter braucht einen Moment, um zu begreifen, daß er nicht allein ist. Er dreht sich zum Eßtisch.
Er sieht Jan an. »Wie meinst du das?«
»Ich hätte nicht hier sein dürfen«, sagt Jan. »Ich habe kein Recht dazu.« Er sieht Walter an, auf dessen Krawatte die abgefallene
Zigarettenasche eine kleine gräuliche Wolke zurückgelassen hat.
»Bin ich ein Schwein?« fragt Walter.
Jan sieht ihm nicht in
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