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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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offenbar redet sie nicht, sondern hört zu. Jan kennt die Geschichte. Selbst als der Kaffee bereits dampft, bleibt er
     noch eine Weile neben der Maschine stehen, dann endlich nimmt er zwei Tassen aus den Schränken, füllt sie und trägt sie ins
     Wohnzimmer. Walter bedankt sich mit einem Nicken. Dann trinken sie, ohne zu reden.
    Das Relais knackt im Telefon. Es dauert noch einmal ein paar Minuten, bis sich die Tür des Schlafzimmers öffnet. Kristin betritt
     den Raum, und auch sie sieht aus wie von der Geschichte geröntgt, ein hageres Gerippe mit bläulicher Haut. Sie legt den Telefonhörer
     auf den Tisch und setzt sich. Eine Weile schweigen sie zu dritt.
    Die Situation beginnt, sich von Jan abzulösen. Weil er nicht fliehen kann, entzieht sich sein Inneres dem Elend, das jetzt
     den Raum angefüllt hat. Er betrachtet Kristin und Walter, als wäre er selbst nicht da. Sie sitzen mit leeren Gesichtern im
     Zimmer, als hätte sich ihre einstige Liebe vollkommen aufgelöst – ihre Liebe, die dort begonnen hatte, wo alles hindernislos
     war: die Felder, das Meer, der Wind; die lachend begonnen hatte auf Dünen, in denen sie den Motor aufheulen ließen, um die
     Möwen aufzuscheuchen, die dann schimpfend über dem geöffneten Schiebedach kreisten – räähh, räähh; die begonnen hatte zwischen
     Deichen, Wiesen und Pappelalleen und auf |149| feuchtem, mit Muscheln und Muschelsplittern durchmischtem Sand, auf dem man ging wie auf festem Schaumstoff und auf dem der
     Wind die von der Ebbe zurückgelassenen, flachen Teiche riffelte, deren Wasser bei jedem Schritt fröhlich unter den Füßen schmatzte.
     Und jetzt war nur noch Schweigen.
    Kristin richtet sich auf und sieht Walter an, der auf seine Tasse stiert. »Du glaubst doch nicht«, sagt sie leise und beherrscht,
     »daß ich ein Kind von dir zur Welt bringen werde.«
    Walter sitzt im Sessel wie geschmolzen. Er raucht nicht einmal mehr. »Es tut mir leid«, sagt er so stimmlos, daß nicht genau
     zu orten ist, ob die Äußerung wirklich von ihm kommt. »Ich bin ein Idiot.«
    Kristin sieht ihn immer noch an und erwartet, daß er zu ihr und nicht zum Aschenbecher redet. »Du hast sie vergewaltigt«,
     sagt sie, und als sie das Unglaubliche ausspricht, zerfällt die Ruhe, in die sie sich durch Konzentration hineingezwungen
     hat, in matte, einsilbige Kraftlosigkeit.
    Walter nimmt mit Verwunderung zur Kenntnis, daß er noch lebt, daß nicht innerhalb von Minuten alles eingestürzt ist, was er
     sich aufgebaut hat, und er erwacht langsam aus seiner Starre. Er stellt fest, daß er nach wie vor das Recht hat zu reden.
     »Hat sie dir erzählt, daß es   … wie es angefangen hat?«
    Kristin nickt. Noch versucht sie, sich unter Kontrolle zu halten, was ihr sichtlich schwerfällt. Sie will nicht die sein,
     die eine Szene macht. »Du hast ihr erzählt, daß Neil sie betrügt, und ihr einen Whiskey nach dem anderen verabreicht.«
    Jetzt dreht sich Walter um. »So hat sie es dargestellt?«
    »Und dann hast du ihr gesagt   …«, sie braucht einen Moment |150| zur Konzentration, als stehe sie unter Schock wie eine Augenzeugin, »…   sie soll sich ausziehen   … Sie war betrunken und hat es getan.«
    Walter steht auf wie ein erschöpfter Autofahrer, der auf einem Parkplatz durch Kniebeugen versucht, seine Energien wieder
     zu aktivieren. »Ich hatte schließlich kein Messer in der Hand.« Er ist jetzt entschlossen, sich so weit wie möglich zu verteidigen.
     »Und den Whiskey hatte sie im Nachttischschrank.« Walter spürt, daß seine Lebenskräfte wieder beginnen zu zirkulieren.
    Kristin richtet sich auf ihrem Stuhl auf. Sie versucht, seinen wiedererwachten Kräften etwas entgegenzusetzen, was ihr nicht
     gelingt. »Sie hat mir nicht verheimlicht, daß sie sich gelegentlich vorstellen konnte   … mit dir zu schlafen«, sagt sie, um Walter den Wind aus den Segeln zu nehmen. »Aber erst
du
hast sie dahin gebracht, sich darauf einzulassen, indem du ihr von Neil erzählt und sie betrunken gemacht hast.«
    »Das stimmt nicht«, sagt Walter, den die, wie er findet, falschen Anschuldigungen empören.
»Sie
hat mit dem Trinken angefangen.«
    Kristin sieht ihn ungläubig an und schüttelt den Kopf. »Ach! Cindy ist natürlich an allem schuld! Wahrscheinlich
wollte
sie, daß du sie auf die Matratze drückst und sie dann   … Ich darf nicht daran denken.« Im Gegensatz zu Walter fließen ihre Energien mehr und mehr aus ihr ab. Die Tatsache, daß Walter
     sich in genau der

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