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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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und den nur Jan bisher gefunden hat, dort, wo ihn niemand
     vermutet, in einer neonkargen Ödnis, in der die Rolltreppen seit Stunden nur noch Luft auf die nächste Ebene transportieren.
     Jan durchquert die Halle, folgt Kristin, der weißen Kristin, die wie eine Heilige vor ihm herschreitet, nackt nur, als habe
     auch Calvin Klein einsehen müssen, daß seine Unterwäsche in den Bildern nur stört. Links sitzen Ticketverkäufer hinter Glas,
     wenige nur, die die Hoffnung auf Kundschaft aufgegeben haben. Jan stellt sich vor, daß Kristin sie von ihrer Langeweile erlöst
     und ihnen eine Fahrkarte abkauft, um sich dann neben ihn in einen Bus zu setzen und aus dem Fenster zu sehen, während draußen
     die Nacht und dann der Morgen vorbeizieht. Sie fahren durch den Kontinent, zurück an den Ort, den sie vor drei Tagen verlassen
     haben. Er stellt sich vor, daß sie wieder einziehen in ihren Bungalow, während sich die nächste Nacht und der nächste Regen
     nähern, dessen Tropfen an Kristins weißem Körper herunterfließen. Sie betreten die Rolltreppe und erlösen auch diese von ihrem
     stundenlangen sinnlosen Rollen, zu dem sie irgendeine Stromzufuhr verurteilt hat, und dankbar hebt sie Jan langsam aus der
     Haupthalle, vorbei an dem Gestänge der Deckenbeleuchtung und vorbei an einem großen Glaskasten mit Monitorwand, deren Aufgabe
     es ist, die Tatsache, daß nichts geschieht, einem Wachbeamten in allen Facetten vor Augen zu führen. Auf der Schalttafel davor
     gibt es nichts zu schalten, und Jan überlegt, ob es nicht möglich wäre, auch diesen Mann zu |159| erlösen, aber das bedeutete, es müßte etwas geschehen statt nichts, aber seine Rolltreppenfahrt mit Kristin ist vom Standpunkt
     des Beamten aus nun mal nichts, weil seine Monitore nur einen Mann zeigen, der eine Rolltreppe benutzt und sich, oben angekommen,
     umsieht, wie es weitergeht, weil keine Busse zu sehen sind, sondern wieder nur eine schwimmbadhell gekachelte, verlassene
     Halle mit verschiedenen Werbeplakaten und Wegweisern:
Gates 301 to 326,
denen Jan folgt. Er erreicht eine Treppe, ebenfalls makellos weiß gekachelt, und steigt die Stufen hinauf, an deren oberen
     Ende das
Gate
beginnt, ein schmaler Gang mit Plexiglaswänden, durch die man auf eine kaum beleuchtete Plattform mit Betonsäulen sieht, ein
     Parkhaus ohne Autos und Licht, nur die regelmäßig aus der Tiefe heraufmündenden länglichen
Gates
erhellen hier und da die asphaltierte Fläche. Der einzige Bus, den Jan erkennen kann, ist fünfzehn, zwanzig Meter entfernt,
     er steht dort abgeschaltet und vergessen, als habe er es nicht rechtzeitig geschafft, die Stadt zu verlassen. Oder er wartet
     auf Jan und Kristin. Es wäre möglich, daß es sich um den Bus handelt, den sie suchen und der sie zurückbringen wird in die
Badlands
und ihren Bungalow, während Walter und Cindy im Sexshop zurückbleiben, gefangen in ihrer Swimmingpool- und Schlafzimmer-Sexualität
     und ihrer Hoffnung auf Reichtum, während Kristin, die weiße Heilige, mit Jan auf dem stillgelegten
Gate
steht. Sie beobachten, daß der Bus in zwanzig Meter Entfernung jetzt das Licht anschaltet und den Motor anläßt. Er setzt sich
     langsam in Bewegung, die Kegel seiner Scheinwerfer überstreichen den schwarzen Asphalt und hin und wieder eine der Betonsäulen.
     Er fährt einen größeren Bogen und schwenkt dann auf Jan zu, nähert sich dem
Gate,
fast macht es den Eindruck, als halte er genau auf den schmalen Plexiglasgang zu, an |160| dessen Ende Jan steht. Die Scheinwerfer werden größer und rücken weiter auseinander. Sie blenden Jan, der nicht in der Lage
     ist, mit seinem Blick die Windschutzscheibe des Busses zu durchdringen, über die gelegentlich ein paar Lichtreflexe fliegen.
     Zwischen den Scheinwerfern erkennt er jetzt silbrige Lamellen, die von den Neonröhren des
Gates
beleuchtet werden. Keine zehn Meter ist der Bus mehr entfernt, er kommt näher und näher, die Lamellen des Kühlers schweben
     auf Jan zu. Kurz vor ihm schwenken sie nach links und wieder nach rechts, und der Bus fährt an Jan vorbei. Die Rücklichter
     entfernen sich und tauchen eine Abfahrt hinunter. Die Plattform bleibt zurück, wie Jan sie vorgefunden hat, nur noch verlassener.
     Es ist jetzt klar, daß kein Bus mehr fahren wird, daß er und Kristin hier in New York bleiben müssen, daß Kristin, die Heilige,
     ihn wieder zurückführen wird in das Leiden, Walters Leiden, Cindys Leiden, dorthin, wo Jan nur mittelalterliche Kräfte am
     Werk

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