Amerikanische Reise
verloren, warum auch immer. Und ich muß die Sache jetzt
ausbaden. Sie wollen mich aus dem Land werfen.« Er bleibt stehen und wirkt kraftlos wie ein übriggebliebener Luftballon am
Morgen. Er sucht in sich vergeblich nach der Energie, die ihn bisher stets angetrieben hat. Wo kommen die Kräfte her, fragt
er sich, die der Welt beweisen, daß alles anders ist, als sie noch vor fünf Minuten gedacht hat? Es gibt keine Wunder, und
doch geschehen sie. Es muß eine Lösung geben, denkt er, auch wenn alle Gesetze der Logik sie verbieten. Er ist immer überzeugt
gewesen, daß Gesetze nur so lange Gültigkeit haben, bis sie durchbrochen werden. Gesetze sind kein Schicksal, sondern Hürden.
Die Alchimisten, das weiß man heute, hatten recht: Gold ist machbar. Die Herstellung ist nur teurer, als das hergestellte
Gold am Ende wert ist, aber das war nie die Frage.
Er setzt sich und stellt das Glas vor sich auf den Tisch. »Ich kann dir das Geld geben«, sagt Kristin.
Walter sieht auf, und Jan dreht sich ebenso irritiert in ihre Richtung. Sie sitzt vor ihren kalten Spaghetti und wickelt das
Knäuel, das sie vor einer Viertelstunde auf die Gabel gerollt hat, wieder ab.
»Wie bitte?« sagt Walter.
»Ich habe zweihunderttausend«, sagt sie. »Mehr sogar. Ich weiß es nicht genau.«
Walter reagiert mißtrauisch. »Was heißt das, du hast zweihunderttausend?« sagt er.
|144| Kristin nimmt ihr Weinglas. »Das heißt, daß ich zweihunderttausend habe. Ein Haus in Deutschland, das ich vor anderthalb Jahren
verkauft habe.«
»Davon weiß ich ja gar nichts.« Weil er vergessen hat zu ziehen, fällt ein graues Zäpfchen Asche von der Zigarettenspitze
in Walters Schoß und nagelt ihn, leicht wie es ist, fest, weil er den Aschenbecher nicht erreichen kann, ohne sich vorzubeugen.
»Eine Erbschaft«, sagt Kristin.
Walter befeuchtet den Zeigefinger der linken Hand und senkt ihn langsam auf den Aschekrümel, der aber nicht daran haften bleibt,
sondern zerfällt. »Du hast mir nie etwas davon erzählt«, sagt er verblüfft und nimmt die Zigarette in den Mund. Er beugt sich
vor, nimmt den Aschenbecher und versucht, mit zusammengekniffenen Augen den Staub auf seiner Hose in das Porzellanschälchen
zu klopfen.
»Den Verkauf hat eine Maklerfirma übernommen«, sagt Kristin und trinkt einen Schluck Wein. »Was sollte ich mit dem Haus.«
Das Telefon klingelt. Walter nimmt seine Zigarette wieder zwischen die Finger und bleibt sitzen, wie Kristin, die kein Interesse
zeigt, den Anruf entgegenzunehmen.
Jan trinkt einen Schluck Wein und entspannt sich. Es mag ungewöhnlich sein, daß Kristin Walter nichts von ihrer Erbschaft
gesagt hat – Tatsache ist jedenfalls, daß sich, womit nicht zu rechnen war, durch ihr Angebot alles auf wundersame Weise geklärt
hat. Walter muß weder bei seiner Bank betteln noch sich in die Hände von Kredithaien begeben. Er kann den Schaden ausgleichen,
er ist gerettet. Vielleicht mißfällt es ihm, von Kristin Geld annehmen zu müssen. Aber das hat mit Jan nichts zu tun, es gibt
keinen Grund mehr, weiter in der Geschichte zu graben, die mit seiner Ankunft begonnen hat. Es gibt keinen Grund mehr, |145| über Neil zu reden, über Cindy, und es gibt keinen Grund mehr, über seine Fahrt mit Kristin zu reden, die
Badlands,
die Nacht im Bungalow. Die Sache ist vorbei, und darüber ist Jan erleichtert. Der Wein bringt ihn in eine heitere Stimmung.
Das Telefon klingelt zum zweiten und zum dritten Mal, dann springt der Anrufbeantworter an. Jan kennt den Spruch, der jetzt
vom Band kommt, weil er gelegentlich eine Nachricht auf dem Gerät hinterlassen hat:
We’re not home right now. But if you want to leave a message, just start talking at the sound of the tone.
Dann das Piepsen und das Rauschen einer Leitung, drei Sekunden lang, vier, fünf, knistert es nur leise. Eine brüchige Frauenstimme
meldet sich tonlos:
Hello?
Wieder folgt eine längere Pause, in der unter dem Leitungsknistern ein fernes Straßengeräusch hörbar wird, als befinde sich
die Person zu der Stimme in der Nähe eines geöffneten Fensters.
Hi, this is Cindy.
Es ist nur ein energieloses Flüstern, das der Lautsprecher jetzt überträgt.
Kristin, are you there?
Die Stimme gewinnt nicht an Kraft, sondern wird zunehmend schwächer. Im Hintergrund heult eine Ambulanz kaum hörbar auf.
I need to talk. Could you call me.
Es rauscht noch ein, zwei Sekunden, dann knackt es. Stille.
Walter sagt nichts. Er drückt die
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