Amerikanische Reise
die Augen, sondern auf seinen Krawattenknoten. »Ihr müßt damit alleine klarkommen«, sagt er schließlich.
»Ich kann euch nicht helfen, selbst wenn ich wollte. Ich verstehe nichts von langjährigen Beziehungen. Es ist nicht meine
Welt.« Er geht in den Flur und nimmt seine Jacke vom Haken. Dann kommt er noch einmal zurück. Walter steht hilflos in der
Mitte des Zimmers, seine Hose hängt ihm wie zerlaufen von der Hüfte, darüber die verworrenen Falten seines Hemdes. Jan streckt
ihm die Hand entgegen. »Nimm das nicht als Verurteilung«, sagt er. »Wir sind Freunde, und dabei wird es bleiben.«
Walter nickt langsam. Dann geht Jan hinaus.
Es herrscht Krieg. Bomben fallen auf Sarajevo. Das Flüchtlingselend in Bosnien. Bilder aus Europa, übertragen von
CNN
auf einen
Sony -
Bildschirm. Jan steht vor einem Schaufenster mit Walkmen, Kassettendecks und Fernsehern, die hinter einem Rollgitter ihre
Nachrichten verbreiten. Die Welt ist eingesperrt. Das Bild wechselt: statt Menschen, die geduckt über ausgestorbene Plätze
rennen, füllt jetzt eine unscharfe, blaßgestreifte Kugel mit einem roten Fleck die Monitore, ein dürftiger Lampion vor einem |154| schwarzen Hintergrund. Nach einer Weile wächst ein heller Punkt am unteren Rand des Ballons und verglüht wieder, als hätte
dort jemand versucht, ein feuchtes Streichholz zu entzünden. Die Sequenz wird wiederholt, die Explosion flimmert wie ein kurzes
Filmchen aus den Anfängen des Kintopps. Die Euphorie, mit der die Astronomen den Kometen
Shoemaker-Levi
nicht nur als Jahrhundertereignis angekündigt haben, sondern ihrer Neigung folgend, mit großen Zahlen zu hantieren, gleich
als Jahrmillionenereignis, ist nach diesen Aufnahmen nur schwer zu verstehen. Nach der dritten Wiederholung des Kometeneinschlags
verschwindet Jupiter vom Bildschirm und macht den Verwüstungen eines Hurrikans Platz.
New York in Jans Rücken ist vergleichsweise ruhig. Schwül ist es immer noch oder schon wieder. Die Parkuhren sehen aus wie
kleine Schneiderpuppen oder wie übergroße Schlüssellöcher. Ein modriger Geruch geht von den verbeulten Abfalltonnen und den
am Straßenrand gestapelten Säcken aus, die jetzt auf Jans Höhe an ein Müllfahrzeug verfüttert werden. Wie ein schwerfälliges
Reptil arbeitet es sich mit kleinem Kopf und riesigem Maul Meter für Meter voran. Die blauen Säcke werden geschluckt wie Pastillen,
es knackt und knirscht, wenn sie zwischen den Zähnen zerdrückt werden. Verdaut wird allerdings nichts, am Ende kommt alles
wieder heraus, wie es hineingestopft worden ist, stinkend, gärend.
Seit Jan Walter in der Wohnung zurückgelassen hat, treiben seine Gedanken richtungslos durch ein Meer aus düsteren Stimmungen.
Jetzt steigt eine Abrechnung mit den USA in ihm auf, über die er nichts weiß und die er dennoch beschuldigt, nichts als eine
Müll- und Verschwendungsgesellschaft zu sein, ein ölfressendes Monstrum, das dabei ist, die Erde in kürzester Zeit zu plündern,
und sich bereits |155| zum Kampf um die letzten Ressourcen rüstet, zu einem weltweiten
Desert Storm,
dessen propagandistisches Ziel die Beseitigung des Bösen ist, das im naiven Weltverständnis der U S-Zivilisation einem Krebsgeschwür gleicht, das nur herausgeschnitten werden muß – und welchen besseren Chirurgen könnte es dafür geben
als die USA selbst, die behaupten, mit ihren modernen Waffen einen Krieg wie mit dem Seziermesser führen zu können, und am
Ende ist die Welt geheilt.
Heal the world,
singen ihre Popstars, die es, wie man hinterher erfährt, mit Kindern treiben, was letztlich nicht verwundert in einem moralisch
erzkonservativen Land, in einer prüden Gesellschaft von christlichen Fundamentalisten mit einem tief verwurzelten Haß auf
Intellektuelle. Der Ku-Klux-Klan als sichtbarer Exponent einer patriarchalischen Grundhaltung, die, wie sich Zeitungsberichten
entnehmen läßt, in den letzten Jahren ständig Zulauf hat und der es um die Erneuerung des Glaubens an die natürliche Überlegenheit
der weißen Rasse und an die Existenz des Wahren und Guten geht. Das Land ist, trotz scheinbar sündiger Städte, fest im Griff
eines geschlossenen ländlich-religiösen Weltbildes.
Jan scheint die Theorie vernünftig, daß Gewalt eine Artikulation unterdrückter Sexualität ist, und das nicht nur in einem
Individuum, sondern in ganzen Gesellschaften. Jan hat sich in Kirchen nie wohl gefühlt. Die Atmosphäre der Demut, ob mit
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