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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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Zigarette, mit der er soviel Pech gehabt hat, aus und nimmt sich eine neue. Jan kann sich
     vorstellen, wie es in ihm aussieht, weil auch für ihn der Anruf dem kaum merklichen Zittern der Erde glich, das einem Beben
     vorausgeht. Seine Hoffnung, alles könne sich geklärt haben, hat sich zerschlagen. Jan sieht auf den Anrufbeantworter, als
     müsse dieser auf der Stelle wieder anspringen und das Ganze als Spuk entlarven. Aber statt einer heiteren Entwarnung, geht
     nur Stille von dem Gerät aus.
    |146| Kristin schlägt auf ihrem Stuhl wie nachmittags ein Bein unter das andere, nur daß sie im Moment nicht barfuß ist, sondern
     wieder Leinenschuhe trägt. Sie versteht nicht, wieso der Anruf das ganze Leben aus dem Zimmer gesaugt hat. Sie führt es auf
     Cindys seltsame Kraftlosigkeit zurück.
    »Cindy hat irgendwie anders geklungen als sonst«, sagt sie zu Walter. »Findest du nicht?«
    Walter stiert auf den Aschenbecher. »Eigentlich nicht«, sagt er.
    »Ich finde, ohne ihre übliche Aufgedrehtheit hat sie einen fast ehrlichen Ton in der Stimme. Das kennt man sonst gar nicht
     an ihr.«
    Walter steht auf und öffnet das Fenster. Er sucht nach einer möglichst harmlosen Erklärung. »Du magst sie eben nicht«, sagt
     er. Jan spürt seine Bemühungen, ungezwungen zu wirken.
    Kristin hebt die Schultern. Sie hat nie einen Hehl daraus gemacht, daß sie Cindy unerträglich dumm findet. »Ich rufe wohl
     besser zurück«, sagt sie.
    Walter sieht die Lawine auf sich zurollen und darf doch nicht zu deutlich in Deckung gehen. »Das mit Cindy ist doch jetzt
     nicht so wichtig«, sagt er. »Schließlich hat Neil mich hintergangen, und wenn es jetzt zwischen ihm und Cindy Probleme gibt,
     kann das doch nicht Vorrang haben.«
    Kristin nickt. »Ich mach’s kurz. Wenn es eine längere Geschichte ist, sage ich ihr, sie soll später zurückrufen.«
    Walters Anspannung ist deutlich zu spüren. Er steht nach wie vor am Fenster und knetet an seinen Wangen herum, die sein Bartwuchs
     mit einem bläulichen Schimmer überzogen hat. Je nachdem wie das Licht darauf fällt, sieht es aus, als beginne er bereits zu
     verwesen. Kristin ist |147| noch nicht mißtrauisch, aber sie spürt, daß es Walter um mehr geht, als Neils Frau mit Schweigen zu bestrafen, weil ihr Mann
     ihn reingelegt hat. »Nein«, sagt Walter, »ich möchte erst alle Möglichkeiten durchsprechen. Und die Zweihunderttausend von
     dir zu nehmen ist die letzte und schlechteste. Es muß auch anders gehen.«
    Kristin hat sich das Telefonat jetzt in den Kopf gesetzt. »Sei doch nicht albern, Walter«, sagt sie. »Cindy klang wirklich
     sehr schlecht.« Sie steht auf und geht zum Telefon.
    Walter gibt auf. Er sieht ein, daß sich das, was kommen wird, auf Dauer nicht hätte verhindern lassen. Kristin nimmt den Hörer
     und geht ins Nebenzimmer.
    Jan sieht auf das Telefon, in dem, kurz nachdem Kristin die Tür zum Schlafzimmer hinter sich geschlossen hat, ein Relais knackt.
     Er stellt sich vor, wie die Nummern, die sie wählt, als unsichtbare Funkimpulse durch die Wände dringen. Und auch das, was
     Kristin gleich von Cindy erfahren wird, wird sich im ganzen Raum ausbreiten und Walter und Jan durchstrahlen, ohne daß sie
     sich dagegen wehren könnten. Und am Ende wird sich das, was vor drei Tagen passiert ist, wie ein Röntgenbild über die Möbel
     legen, über den Tisch mit den Spaghettitellern, über Walter und über Jan. Ein graues, farbloses Bild, in dem alles, was einmal
     Leben war, zu Schatten geworden ist.
    Walter setzt sich wieder in einen der Futonsessel und erstarrt. Ein Delinquent, der sein Urteil erwartet. »Mein Gott«, sagt
     er endlich, »ich habe einen Fehler gemacht. Cindy wird mich als Monster hinstellen. Vielleicht war ich ein Monster, aber es
     war eine Reaktion auf das, was geschehen ist. Eine Reaktion, die ich nicht habe kontrollieren können. Niemand hat sich ständig
     unter Kontrolle. Man kann doch nicht sein Leben lang zu Hause bleiben. Und |148| wer auf die Straße geht, tritt irgendwann in die Scheiße.« Er sitzt in den Polstern wie eine gelenklose Masse.
    Jan sagt nichts. Er steht auf und geht in die Küche. Er muß etwas tun, um nicht hilflos mit Walter zu schweigen. Er füllt
     die Kaffeemaschine, häuft Pulver in den Filter, genug für die doppelte Menge Wasser, um sicherzustellen, daß es nicht wieder
     ein amerikanisch dünner Aufguß wird. Er konzentriert sich darauf, ob nicht Kristins Stimme aus dem Nebenzimmer zu hören ist,
     aber

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