Amerikanische Reise
fest.
»Nein«, erklärt Kristin. »Er muß ein imaginäres Viereck vor dem Körper des Schlägers treffen.«
»Wenn ich das richtig verstehe«, sagt Jan, »dann ist das so, als würde man beim Fußball auf imaginäre Tore spielen.«
Kristin nickt.
Die Schnitte der Übertragung spiegeln sich auf den Gesichtern der Jugendlichen an der Bar als flüchtige Lichtwechsel wider,
als sei ihnen von ihren Bieren abwechselnd schlecht und wieder gut.
»Du hast nicht mit Rick geschlafen?« fragt Jan. »Oder?«
Das Publikum schreit auf, und auch die Jugendlichen an der Bar schreien.
Jan dreht sich zum Fernseher. Es ist kaum noch etwas zu erkennen, weil nur gerannt wird. Nach einer Weile beruhigt sich die
Situation, und alle Spieler gehen vom Platz.
»Jetzt beginnt das nächste
Inning« ,
sagt Kristin.
Die Straße verschwimmt momentweise vor Jan, als sehe er durch ein Objektiv, dem gelegentlich der Fixpunkt abhanden kommt.
Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie sich gleich nach dem Essen ein Motelzimmer gesucht. Statt dessen die endlose Fernsehübertragung,
für die sich Kristin wirklich interessiert hat, die sie aber auch benutzte, um dem Gespräch eine andere Richtung zu geben,
indem sie versuchte, Jan die Regeln zu erklären, was ihr nicht gelang. Er hörte kaum zu, weil er jetzt
sein
Spiel nach
seinen
Regeln spielen wollte, und das bedeutete, ein Zimmer zu finden. Kristin hat sich in ihm ausgebreitet wie ein seltsamer Farbstoff,
der nicht nur die Oberfläche tönt, sondern alles durchdringt.
|198| Seit dreißig, vierzig Meilen wartet Jan auf einen Hinweis oder ein Reklameschild, auch wenn die Motels mit ihren verblaßten
Bettbezügen und fleischfarbenen Lampenschirmen nicht halten, was er sich von ihnen versprochen hat: keine schäbigen Räume,
in denen die Melancholie zerbrochener Träume den Boden bedeckt, sondern kleinbürgerliche Kunstfaserreservate mit melierter
Auslegware und furnierten Nachttischschränkchen, die höchstens zu einem trüben, leidenschaftslosen Ehebruch taugen.
Für einen kurzen Moment schlägt Jans Stimmung um: Ist es denn nicht genau das, was er will? Ein Ehebruch, nicht mehr und nicht
weniger. Der Versuch, etwas Licht in die trüben Jahre bis zum Verlöschen aller Leidenschaften zu bringen. Sich noch einmal
zu spüren. Sich noch einmal der Illusion hinzugeben, das ganze Leben lasse sich in einen Augenblick verdichten und in dessen
Hitze für immer festhalten.
Er betrachtet Kristin, die auf dem Beifahrersitz eingeschlafen ist, und das Gefühl kehrt zurück, von ihr durchdrungen zu sein.
Er liebt sie, alles andere spielt keine Rolle. Er stellt sich vor, sie nur soweit wie nötig zu wecken, den Arm um sie zu legen
und sie in ein Zimmer zu führen, in dem sie am nächsten Morgen aufwacht, ohne zu wissen, wo sie ist. Auf ihrem Gesicht der
gelöste Ausdruck einer Frau, die sich geliebt weiß.
Nur noch selten tauchen am Straßenrand beleuchtete Reklametafeln auf, Restaurants und Einkaufszentren, kein Motel. Ohne die
Scheinwerferkegel wäre nicht auszumachen, ob sich der Wagen vor oder zurück bewegt. In Zügen geht es Jan gelegentlich so,
daß er beim Lesen die Orientierung verliert, weil weder das Schaukeln der Waggons noch die Fahrtgeräusche eine Bewegungsrichtung
festlegen. |199| Wenn er dann aufsieht, ist er manchmal verwirrt. Es reizt Jan, sich vorzustellen, der Buick entferne sich von den Rückleuchten
des vorausfahrenden Wagens, anstatt sich ihnen zu nähern. Er schließt die Augen, und es gelingt ihm, die Bewegung in seinem
Innern umzukehren, Reklameschilder im Rückspiegel auftauchen, sie von hinten nach vorne durchs Seitenfenster ziehen und dann
in der Windschutzscheibe sich entfernen zu lassen. Er ist überrascht, wie einfach es ist, innere und äußere Welt zur Kollision
zu bringen.
Eine Erschütterung geht durch den Wagen, Jan öffnet die Augen wieder und zieht den Wagen zurück in die Mitte der Fahrbahn.
Die Rückleuchten vor ihm sind kaum näher gekommen. Er schüttelt den Kopf, streicht sich mit der linken Hand von der Stirn
her durch die Haare. Es ist Zeit, anzuhalten.
Die
cruise control
fällt ihm ein, die ihm Kristin irgendwann erklärt hat. Jan betätigt den Schalter und könnte jetzt den Fuß vom Gaspedal nehmen,
ohne daß der Wagen langsamer würde. Er zögert einen Moment, weil seine Autofahrergewohnheit das Gegenteil behauptet und er
die Geschwindigkeit nicht reduzieren will, knapp achtzig Meilen pro Stunde
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