Amerikanische Reise
mit der sie ihre Lage sieht. Was ihn, obwohl er versucht,
es zu unterdrücken, immer noch leicht kränkt, ist, daß er selbst in all dem nicht vorkommt. Es geht um Kristin, Walter und
Rick, ein geschlossenes Dreieck, in dem es keinen Zugang für ihn gibt. Und je mehr ihm bewußt wird, daß er ausgeschlossen
ist, um so stärker erwacht in ihm das Bedürfnis, Kristin herauszulösen aus ihren Bindungen. Sein Verlangen, sie zu lieben,
wird stärker, und es nicht zu tun erscheint ihm als ein dummes Zögern, für das es keinen Grund gibt und das nicht zu ihm paßt.
Sex hat für ihn immer am Anfang einer Bindung gestanden. Was nützt einem die große Liebe, wenn man feststellt, daß sie im
Bett nicht zündet. Und er liebt Kristin, er liebt ihre Art, |195| ihn anzusehen, als sei er der vertrauenswürdigste Mensch der Welt, er liebt ihre illusionslose Art zu reden, und er liebt
die Art, wie sie sich ihre Haare hinters Ohr streicht, eine Bewegung, die wie jede ihrer Bewegungen zugleich ruhig und doch
immer auch etwas fahrig ist, als verscheuche sie eine Fliege.
»Hast du mit Rick geschlafen?« fragt Jan. Sie hat über alles geredet, warum also nicht auch darüber.
Kristin stützt ihr Gesicht auf, als müsse sie erst überlegen. Sie trommelt mit den Fingern gegen ihre Wange. »Walter glaubt
es.« Sie wiegt den Kopf hin und her. »Rick sucht sein Vergnügen. Aber gerade das hat mich immer wieder gereizt. Vielleicht
habe ich einen Fehler gemacht.«
Jan kann den Gedanken nicht unterdrücken, daß sich dieser Fehler mit ihm wieder gutmachen ließe: Er sucht nicht nur sein Vergnügen.
Das weiß er. Er wird die Vorstellung nicht mehr los, mit Kristin zu schlafen, als habe sich durch ihre Geschichte alles verändert.
Walter ist nicht länger der Freund, den er betrügt – Walter ist der Ehemann, der verbissen an seiner Karriere arbeitet und
sich nicht mehr um seine Frau kümmert. Kristins und Walters Ehe ist ein sprödes Netz, das jeder Kieselstein zerreißen könnte.
Irgendwo ist immer Ende und irgendwo ist immer Anfang.
»Wieso stört es Walter eigentlich nicht, daß das Foto, das Rick von dir gemacht hat, bei euch im Wohnzimmer hängt?« fragt
Jan.
Kristin hebt die Schultern. »Als ich es aufgehängt habe, wußte er noch nicht, daß ich mich in Rick verliebt hatte. Hinterher
hat er nie etwas deswegen gesagt. Vielleicht gefällt es ihm ja. Ich weiß es nicht.«
»Es ist ein schönes Foto«, sagt Jan. Seine Finger kleben immer noch von dem Huhn. Er steht auf. Die jungen Burschen am Tresen
vertreiben sich die Zeit mit einer Baseball-Übertragung, |196| ein Sport, der für Jan ein Buch mit sieben Siegeln ist, keine Tore, kein Netz. Er geht zur Toilette, die am Ende eines schmalen
Ganges liegt, der auf die Straße führt. Jan tritt kurz aus dem Haus. Die Gleise liegen jetzt verlassen auf den sandigen Bahndämmen,
ein gleichmäßiger, schwacher Wind streicht über die Landschaft, eine dürre Katze streift durch das gelbe Steppengras am Straßenrand.
Hier und da sind vor den Häusern waagerechte Stangen angebracht, als gebe es noch Pferde zum Anbinden. Jan fragt sich, was
Menschen dazu bringt, hier zu leben, und gleichzeitig stellt er sich vor, in einem Motelzimmer Kristin zu lieben, als könnten
sie nur hier zueinanderfinden, am Ende der Welt.
Als er zurückkehrt, hat sich Kristin der Sportübertragung zugewandt. Auf dem fächerförmigen Rasenfeld stehen ein paar Spieler
herum, die nichts zu tun haben, während sich auf einem kleinen Erdaufwurf ein Mann mit Kniebundhose zurücklehnt, mit einem
Arm durch die Luft rudert und das Bein darunter hebt wie ein Hündchen. Der Trainer – Jan nimmt an, daß es der Trainer ist – trägt Krawatte und Anzug und sieht mit seinen graumelierten, vollen Haaren aus wie
Bill Clinton. In jeder Hollywood-Serie, denkt Jan, sieht einer so aus, ein Typus, den man in Deutschland nur als Filialleiter
in einem Autohaus erwarten würde. Der Werfer auf dem Erdhäufchen schnappt zusammen wie ein Taschenmesser, schleudert das Bein
von vorne nach hinten und den Oberkörper von hinten nach vorne und schießt einen kleinen Ball ab. Ihm gegenüber wirbelt ein
Mann eine Keule durch die Luft. Er verfehlt den Ball.
»Der
Pitcher« ,
erklärt Kristin, ohne den Blick vom Bildschirm zu lösen, »versucht den Ball so zu werfen, daß der Schläger ihn möglichst nicht
trifft.«
|197| »Dann bräuchte er ihn doch nur sonstwohin zu werfen«, stellt Jan
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