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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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Boden ist feucht, die Luft angenehm. Auf der anderen Straßenseite schleppt sich träge der Zug über die
     Gleise. Jan schlägt die Wagentür zu, und es kommt ihm vor, als werde das Geräusch von den Häusern geschluckt wie ein Hallo!
     von einem Beerdigungsinstitut. Die Fliegengaze vor dem Eingang des Restaurants ist löchrig. Jan sieht Kristin an. Sie hebt
     die Schultern und nickt, weil sie ebenso neugierig ist wie Jan, dem bewußt wird, daß sie New York in den vergangenen Jahren
     nicht verlassen hat, nicht mit Walter – mit niemandem.
    Er öffnet die Tür. Innen ist es dunkel, an einer Theke sitzen ein paar Jugendliche mit Jeans und karierten Hemden |190| vor ihren Bierflaschen. Sie drehen sich um, als Jan mit Kristin das Restaurant betritt. Einen Moment lang fühlt er sich unsicherer
     als in den tiefsten Schluchten New Yorks.
Hi,
sagt Kristin in den Raum, und sie setzen sich an einen halbwegs hellen Tisch am Fenster. Links ist unter einem von der Decke
     baumelnden Rotlichtstrahler eine Art Buffet aufgebaut, dahinter ein Schild an der Wand:
$   7 , 50.
Egal, wieviel man ißt, alle zahlen das gleiche. Ein sozialistisches Prinzip im Wilden Westen, denkt Jan. Offenbar wird Nahrung
     nicht mehr als etwas wahrgenommen, das eine Schießerei lohnt. Vielleicht ist nicht der Kapitalismus der Fluch der Armen, sondern
     der Sozialismus das Schicksal der Reichen.
    Der Wirt ist ein maulfauler Ire. Er bringt ihnen ein Bier. Anschließend stehen sie mit bruchfesten Kunststofftellern bewaffnet
     vor den verschiedenen Platten mit vertrockneten Hühnchenschenkeln und öligem Gemüse.
    »So ein Zusammenstoß bedeutet nicht, daß unweigerlich Schluß ist«, nimmt Kristin den Gesprächsfaden wieder auf, entzieht sich
     mit ihrer Bemerkung allerdings dem Kern der Frage, was sie denn tun würde, wenn ein Komet die Erde verwüsten würde. Sie legt
     sich ein paar Bohnen auf. »Jedenfalls nicht überall. Man hat berechnet, daß es zu einem jahrelangen Winter kommt, weil der
     aufgewirbelte Staub das Sonnenlicht schluckt.«
    Jan stellt sich Meteore ungefähr so zerklüftet vor wie die im Rotlicht grau aussehenden Rosenköhlchen neben den Bratkartoffeln.
     Er nimmt sich zwei Hühnchenschenkel.
    »Sicher«, sagt er, »man kann sich in die Hoffnung flüchten, daß alles nicht so schlimm wird. Das werden wahrscheinlich die
     meisten.«
    »Wieso flüchten?« sagt Kristin. »Ein jahrelanger Winter ist ein technisches Problem, ein lösbares technisches |191| Problem. Die Dinosaurier waren lediglich zu dumm, um damit klarzukommen. Zur Not müssen eben alle eine Zeitlang wieder in
     Höhlen leben.«
    »Wie willst du denn sechs Milliarden Menschen in Höhlen unterbringen? Und wovon sollen sie leben? Sollen sie das Moos von
     den Wänden kratzen?« Jan nimmt seinen Hühnchenschenkel in die Hand und beginnt zu knabbern. »Ich meine, es geht doch um etwas
     anderes. Tatsache ist, daß für die, die übrigbleiben, das Leben zur Hölle wird. Für mich wäre das nichts, keine eigene Wohnung
     zu haben und mich mit zehn Leuten um ein Stück Brot schlagen zu müssen. Dann schon lieber im Zentrum des Absturzes eine Party
     feiern und Schluß. Zu den Helden, die für den Weiterbestand des Menschengeschlechts kämpfen, gehöre ich nicht. Daß es sinnvoll
     ist, niemals aufzugeben, ist ein Mythos, den sich Generäle ausgedacht haben. Die Bibel hat mit der Geschichte von der Vertreibung
     aus dem Paradies das Leben zu einem permanenten Kampf gegen Widrigkeiten gemacht, und weil es in der Bibel stand, hat niemand
     mehr gefragt, ob es sich dabei nicht um einen Irrtum handeln könnte. Ein paar tausend Jahre später haben sie noch eins draufgesetzt
     und einen ans Kreuz genagelten Mann als Vorbild für alle hingestellt.« Jan schüttelt den Kopf. »Ich hätte es Jesus nicht übelgenommen,
     wenn er das Kreuz hätte liegenlassen und einen trinken gegangen wäre. Aber jeder muß wissen, was er tut. Ich meine, es ist
     in Ordnung, wenn du glaubst, eine Mutter Teresa der Eiszeit werden zu müssen.«
    »Du bist sarkastisch«, sagt Kristin. »In Wirklichkeit ist der Tod ein schlechter Gastgeber.« Sie spießt eine Möhre auf.
    »Was ist mit deinem Kind?« sagt Jan. »Würdest du es zur Welt bringen?«
    |192| Kristin überlegt einen Moment, ob sie die Frage akzeptieren soll. Sie nickt langsam. »Ja, ich glaube schon«, sagt sie.
    Jan schiebt den ersten abgenagten Hühnerknochen auf den Tellerrand. »Bist du dir sicher«, fragt er, »ob du es überhaupt haben
    

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