Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost
aber Michaela sollte immer zur Hälfte mir gehören – zur Hälfte ich sein. Sie sollte aufwachsen, sich ihre eigene Meinung bilden. Und mir verzeihen.«
»Glauben Sie, dass sie tot ist?«
»Ich habe mich von Ihnen vom Gegenteil überzeugen lassen.«
»Ich muss einen guten Grund gehabt haben.«
»Das hoffe ich.«
Er dreht sich um und will gehen.
»Ich bin nicht Ihr Feind, Alexej. Ich will bloß herausfinden, was passiert ist. Was wissen Sie über den Scharfschützen? Arbeitet er für Sie?«
»Für mich?« Er lacht.
»Wo waren Sie am Abend des 24. September?«
»Erinnern Sie sich nicht? Ich habe ein Alibi. Ich war mit Ihnen zusammen.«
Er wendet sich endgültig ab und gibt dem Russen, der wie ein angebundener Hund gewartet hatte, ein Zeichen. Ich kann ihn nicht gehen lassen. Er muss mir von Rachel und der Lösegeldforderung erzählen. Ich packe seinen Arm und drehe ihn nach außen, bis sein Rücken sich wölbt und er in die Knie geht. Mein Gehstock fällt klappernd auf den Weg.
Fußgänger und Gefängnisbesucher drehen sich neugierig um. Mir kommt der Gedanke, dass ich ziemlich lächerlich aussehen muss – eine Verhaftung mit Gehstock. Man ist schließlich immer noch eitel.
»Ich verhafte Sie wegen Unterschlagung von Informationen in einer polizeilichen Ermittlung.«
»Sie machen einen großen Fehler«, zischt er.
»Bleiben Sie unten!«
Hinter mir tauchen die Umrisse einer Gestalt auf, und ich spüre das warme Metall eines Pistolenlaufs am Hinterkopf. Es ist der riesige Russe, der den Raum ausfüllt wie eine Statue. Plötzlich wird er abgelenkt. Ali steht mit gespreizten Beinen und halb in der Hocke vor ihm, ihre Waffe auf seine Brust gerichtet.
Ich halte Alexejs Arm nach wie vor gepackt und beuge mich nahe zu seinem Ohr.
»Ist es das, was Sie wollen? Sollen wir uns alle gegenseitig erschießen? «
» Njet! «, sagt er, und der Russe macht einen Schritt zurück und schiebt seine Waffe ins Halfter. Dabei sieht er Ali genau an und merkt sich ihr Gesicht.
Ich führe Alexej bereits zum Wagen. Ali geht rückwärts hinter uns her und behält den Russen im Auge.
»Ruf Carlucci an«, brüllt Alexej. Carlucci ist sein Anwalt.
Er senkt den Kopf und steigt hinten ein. Ich setze mich neben ihn. Mein Mantel hängt über dem Beifahrersitz. Ali hat bisher noch kein Wort gesagt, aber ich weiß, dass ihr Verstand schneller rotiert denn je.
»Das wird Ihnen noch Leid tun«, murmelt Alexej und blickt an mir vorbei aus dem Fenster. »Sie haben gesagt, keine Polizei. Wir hatten eine Abmachung.«
»Dann helfen Sie mir! Sagen Sie es mir! Was ist an jenem Abend passiert?«
Er lässt die Zunge im Mund hin und her rollen, als würde er an einer Idee lutschen.
»Irgendjemand hat auf mich geschossen. Ich leide unter so genannter transienter globaler Amnesie. Ich kann mich nicht erinnern, was geschehen ist.«
»Fahren Sie zur Hölle!«
Als wir bei der Harrow Road Police Station eintreffen, erwartet Frank Carlucci uns bereits. Er ist klein, sonnengebräunt, sehr italienisch und hat ein Gesicht wie eine runzlige Walnuss, bis auf die Augenpartie. Da war ein Schönheitschirurg am Werk.
Er hastet neben mir die Treppe hoch und verlangt, seinen Mandanten zu sprechen.
»Sie können warten, bis Sie an der Reihe sind. Zunächst muss das Protokoll aufgenommen werden.«
Ali ist im Wagen sitzen geblieben. Ich drehe mich zu ihr um. »Passen Sie gut auf meinen Mantel auf.«
»Soll ich sonst noch etwas tun?«
»Suchen Sie den Professor. Sagen Sie ihm, dass ich ihn brauche. Und dann suchen Sie Rachel. Irgendwo muss sie ja sein.«
Alis Miene ist voller Fragen. Sie weiß nicht, ob ich weiß, was
ich tue. Ich ringe mir ein aufmunterndes Lächeln ab, bevor ich mich wieder zu Alexej umwende.
Als wir die Wache betreten, senkt sich ein tiefes Schweigen über den Raum. Ich schwöre, ich kann buchstäblich die Topfpflanzen wachsen und die Tinte auf dem Papier trocknen hören. So still kann es werden. Diese Leute sind meine Freunde und Kollegen. Jetzt meiden sie meinen Blick oder beachten mich überhaupt nicht. Vielleicht bin ich im Fluss doch gestorben und habe es bloß noch nicht gemerkt.
Ich lasse Alexej mit Carlucci in einem Vernehmungszimmer allein. Mein Herz rast, und ich will mich sammeln. Zuallererst rufe ich Campbell an. Er ist in einer Sitzung bei Scotland Yard, also hinterlasse ich eine Nachricht auf seiner Mailbox. Zwanzig Minuten später stürmt er durch die Eingangstür und sieht aus, als würde er gern eine Katze
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