Amnion 1: Die wahre Geschichte
vielleicht versuchte sie in Wirklichkeit, ihm zu drohen. »Der Bannkosmos ist schlimm genug. Auf noch ärgere Gefahren verzichten wir gern. Aber Leute wie Sie sind wahrhaftig das größte Übel. Sie hintergehen Ihresgleichen. Ihre Opfer sind Menschen, Sie betätigen sich als Parasit des menschlichen Lebens und werden dabei reich.« Sie sah ihn nicht an. Hätte sie ihn angeschaut, wäre ihr womöglich der Mut geschwunden, so mit ihm zu reden. »Ich werde alles tun, was ich kann, um Sie unschädlich zu machen«, erklärte sie, als zitierte sie einen Glaubensartikel. »Kein Preis ist zu hoch, um einen Mann wie Sie zur Strecke zu bringen.«
Darauf mußte Angus antworten. Unwillkürlich entsann er sich der verrückten Verwegenheit, mit der Kapitänhauptmann Davies Hyland ungeachtet seiner Blindheit ihn zu übertölpeln versucht hatte. Er durfte nicht dulden, daß die Tochter des Kapitänhauptmanns glaubte, er nähme ihre Drohungen ernst.
»Mich?« meinte er, und während er sprach, wuchs sein Ärger; oder vielleicht wuchs vielmehr sein Pläsier. »Bin ich denn eine Gefahr für den Human-Kosmos? Was ist mit dir? Nicht ich bin’s gewesen, der euren Zerstörer gesprengt hat. Nicht ich bin schuld, daß du das Hyperspatium-Syndrom hast. Ich habe keine Jagd auf euch gemacht. Nicht mal geschossen hab ich auf euch. Du hast all die Astro-Schnäpper umgebracht, du.« In der Tat hatte er seine helle Freude. Er gedachte ihr zu zeigen, wohin ihre Drohungen führten. »Ich bin bloß ’n Frachterkapitän. Du bist eine Verräterin.«
Er konnte ihr ansehen, wie tief seine Worte sie trafen: sie zog die Schultern hoch und drehte den Kopf zur Seite. Als hätte er sie abgeschaltet – oder versuchte sich an irgendeine geheime Stätte ihrer Innenwelt zu flüchten, wo sie noch an sich selbst zu glauben vermochte –, schien ihr Bewußtsein zu erlöschen.
In Wahrheit wich sie seelisch in andere geistige Gefilde aus, in die Angus ihr unmöglich folgen konnte. Für ihn gab Furcht einen Quell der Inspiration ab; sie beflügelte ihn zu der Art intuitiver Erkenntnisse, dank der er bei Morn das Vorhandensein des Hyperspatium-Syndroms erraten hatte. Doch dieselbe Inspiration beziehungsweise Intuition verwehrte ihm das Verständnis anderer Emotionen als Furcht.
Der Ausweg, den Morn wählte, der Ort ihrer Geisteslandschaft, an den sie floh, hätte für ihn keinerlei Sinn ergeben. Er hätte darin lediglich ein zynisches Lügengebilde erblickt, die Sorte von Falschheit, die sich mit anheimelnder Fassade kaschierte, damit sie später um so schroffer enttäuschte.
Sie zog sich auf ihre persönlichen Erinnerungen zurück, Reminiszenzen an die Obhut, in der sie früher zu der Frau heranwuchs, die sie heute war: ihr Zuhause und ihre Eltern.
Unbewußt wandte sie sich wie ein kleines Mädchen um Beistand an Mutter und Vater.
In gewisser Hinsicht entsprang die Gabe ihrer Eltern, ihr zu helfen oder hinderlich zu sein, geradeso wie die Möglichkeit, ihr Leben zu beeinflussen, der Tatsache ihrer häufigen Abwesenheit. Beide Elternteile hatten sich dem Polizeidienst verschworen gehabt; und die VMKP-Politik, Raumschiffsbesatzungen aus Familien aufzustellen, schloß keineswegs die Kinder mit ein. Infolgedessen wohnte Morn bei ihren Großeltern (selbst pensionierte Veteranen der Internschutz-Truppe der Astro-Montan AG), während Davies und Bryony Hyland Dienstflüge in den Fernraum unternahmen, ihr Leben einsetzten, um die Menschheit gegen den Bannkosmos und vor Gewalttätern zu beschützen.
Morn trug die Bürde dieses stets wiederholten Verlassenseins ganz für sich allein. Naturgemäß grämte sie sich, wenn ihre Eltern fortflogen; sie geriet außer sich vor Begeisterung, sobald sie heimkehrten. Die tiefere Wirkung jedoch verheimlichte sie. Ihre Eltern hatten sie ja in einem Haus untergebracht, wo man sie liebte und verläßlich versorgte; einem Milieu, in dem strenge Achtung des Gesetzes und der Bürgerrechte sowie Herzlichkeit und Zuneigung einander ergänzten. Für ihre Großeltern ebenso wie für die Eltern bedeuteten Kinder die Zukunft, für deren Sicherung die VMKP sich abplagte und blutete.
Buchstäblich jede Person, die Morn als Kind kannte, hatte entweder im Polizeidienst gestanden oder ihn hinter sich gehabt. Und es handelte sich um Polizisten aus Überzeugung. Sie schätzten ihren Beruf in der gleichen Weise, wie sie Morn schätzten, und aus demselben Grund. Sie sprachen grundsätzlich voller Respekt über ihre Eltern, mit einer bedingungslosen
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