Amnion 1: Die wahre Geschichte
Panik, die ihn beim Anblick der Stellar Regent überwältigt hatte.
Aber dieser Fall lag schlimmer, viel schlimmer: als ob er mit ansähe, wie jemand mit einem Gewehr ihm direkt ins Gesicht zielte und abdrückte. Er beobachtete, wie Nicks Blick ihn geringschätzig streifte – und dann auf Morn fiel. Er sah, wie die Narben, die Nicks Augen unterstrichen, sich dunkel verfärbten, als bräche in ihren Höhlen ein Schwelbrand aus. Und natürlich entging ihm auch nicht Morns Reaktion.
Ihr Gesichtsausdruck gab von ihren Empfindungen nichts preis. Sie sprach kein Wort. Doch mittlerweile kannte Angus sie in- und auswendig, wußte über jedes Pochen ihres Herzschlags, jede Tönung ihrer Haut, jede Schattierung des Grauens und des Wehs in den Tiefen ihrer Augen genau Bescheid. Ohne eine zweite Sekunde mit Vergewisserung oder Überlegungen vergeuden zu müssen, ersah er schlagartig inmitten der zahlreichen Gäste, daß Nick Succorso mehr Einfluß auf Morn ausübte, als er selbst über sie Macht hatte.
In Nicks Macht stand es, zu erreichen, daß sie ihn begehrte.
Diese Erkenntnis jedoch bedeutete lediglich den Anfang; die volle Wahrheit erwies sich als noch weit ärger. Bis zu diesem Moment, in dem er sah und begriff, wie Morn und Nick einander anschauten – oder es zu verstehen glaubte –, hatte Angus Thermopyle das ganze Ausmaß seiner tatsächlichen Schwäche gar nicht geahnt. Er hatte keine Klarheit darüber gehabt, wieviel Macht ihm fehlte, wie sehr er diese Macht ersehnte, wie tief er ihren Mangel beklagte. Er konnte Morn zu allem und jedem zwingen, was seine Wollust oder seine Gewalttätigkeit ihm als wünschenswert eingab, und er hatte es getan. Wie ein Säufer oder heruntergekommener Schwachkopf hatte er gewähnt, das sei genug. Doch es genügte nicht. O nein: Niemals genügte es, jetzt nicht mehr. Er hatte sich irregeführt, sich selbst geblendet, Selbstbetrug begangen.
Er hatte sie genötigt, sich an ihrer eigenen Erniedrigung zu beteiligen. Ihr eingeschärft, sich so zu führen, als wäre er für sie eine Lebensnotwendigkeit. Aber ganz gleich, was er anstellte, er könnte es nie soweit bringen, daß sie ihn begehrte. Die Tasten am Kontrollgerät des Z-Implantats, das sie ihm so umfassend unterordnete, daß sich ihr Körper mit jedem Nerv seinen Gelüsten auslieferte, hatten im Vergleich zum übermütigen Funkeln in Nick Succorsos Augen über Morn so gut wie keine Gewalt.
Wie ungerecht, haderte Angus. Sie gehörte zu ihm. Sie war sein.
Er konnte nicht wissen, daß er sich täuschte.
11
Morn Hyland betrachtete Nick Succorso in Wirklichkeit überhaupt nicht als sexuelles Wesen. In dieser Beziehung erlag jeder, der ihre Situation erkannte oder sich irgendwelchen Gedanken über ihr Auftreten hingab, einem Irrtum. Daß Nick zum männlichen Geschlecht zählte, nahm sie kaum zur Kenntnis. Andernfalls hätte sie – aufgrund desselben entgleisten, herabgewürdigten Überlebenstriebs, der sie dazu verleitet hatte, jede Aussicht auf Hoffnung, die die Stationsinspektoren repräsentiert haben mochten, zu verwerfen – gegen ihn eine ablehnende Haltung eingenommen.
Sie wollte keinen Mann. Jede Berührung eines Manns hätte bei ihr nichts als den Drang zu schreien und zu kotzen verursacht, so wie es ihr mit Angus ging: inzwischen hatte er sie so oft mißbraucht, daß die Vergewaltigung von ihrem Fleisch auf den Geist übergegriffen hatte; Schmerz und Ekel durchsättigten sie bis in Mark und Bein. Hätte Nick Succorso als Mann Hand an sie gelegt, wäre sie genauso zurückgezuckt, wie sie es tat, wenn Angus sie anfaßte.
Angus hatte über sie mehr Macht, als er glaubte.
Trotzdem trog sein Gespür ihn nicht, als er den Eindruck gewann, daß sich beim Anblick Nick Succorsos etwas in Morn regte.
Dieses ›Etwas‹ betraf jedoch in keinerlei Weise Nicks gutes Aussehen, seine Männlichkeit, seine physische Anziehung. Vielmehr bestand ein Zusammenhang mit seinem Äußeren ordinären Ungestüms, seiner von Narben mitgeprägten Erscheinung piratenhafter Tollkühnheit. Er interessierte sie nicht als Mann, sondern als effektive Kraft. Er mochte stark und schlau genug sein – von Skrupellosigkeit ganz zu schweigen –, um den Schurken, der sie zugrunde richtete, zu vernichten.
Glaubte sie, Nick wäre ihr Befreier, der Richtige, um sie aus ihrem Leid zu erlösen? Nein. Angus hatte mit seinen Bemühungen, ihre Persönlichkeit zu brechen, schon zu weitgehenden Erfolg erzielt. Sie verfügte nicht mehr über das
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