Amnion 2: Verbotenes Wissen
sie zu einem zweiten Lift.
Diesen Teil des Raumschiffs konnte man nicht verlassen, ohne in einen Lift zu steigen. Schotts verschlossen beide Enden des Korridors. Und die Bewegungen sämtlicher Lifts steuerte und überwachte höchstwahrscheinlich der Wartungscomputer der Käptens Liebchen. Einen Lift zu benutzen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, blieb für Morn undurchführbar.
Sie hätte lieber keine Beachtung auf sich gezogen.
Ihr Bibbern wurde heftiger. Ohne sich dessen bewußt zu sein, nahm sie die Hände aus den Taschen und schlug sie vors Gesicht. Etliche Augenblicke lang verharrte sie, die Handteller auf die Augen gepreßt, während ihre Schultern bebten, reglos vor der Lifttür.
Sie brachte es nicht über sich. Dank Angus hatte sie zuwenig Mumm übrig. Nichts empfand sie noch als sicher genug. Sie hätte in ihrer Kabine bleiben und sich mit der Z-Implantat-Kontrolle befassen sollen, bis sie soweit gewesen wäre, ihrer Zaghaftigkeit abhelfen zu können.
Aber in ihrem jetzigen Zustand wäre sie womöglich gar nicht imstande gewesen, die Tasten zu drücken, die sie zu betätigen beabsichtigte. Und die Computer konnten allemal die Türen genauso leicht wie die Lifts unter Überwachung halten. Schon mit dem Verlassen der Kabine war sie ein gewisses Risiko eingegangen.
Langsam senkte sie die Hände vom Gesicht. Sobald es ihr gelungen war, eine Hand in die Tasche zurückzustopfen, tippte sie mit der anderen Hand auf die Taste, die die Liftkabine holte.
Wären die Tasten für die verschiedenen Decks mit Hinweisschildchen ergänzt gewesen, hätte sich Morn wohl irgendeine unverfängliche Wahl angeboten. Wäre sie zu klarem Nachdenken fähig gewesen, hätte sie sich wohl die innere Aufteilung des Raumschiffs zusammengereimt. Doch weil es an beidem fehlte, fuhr sie einfach aufs nächsttiefere Deck hinab und stieg dort aus, um es sich anzuschauen.
Fast unverzüglich roch sie Kaffeeduft. Ein Glücksfall hatte sie in die Nähe der Kombüse verschlagen. Morn vermutete, daß auf diesem Deck Nicks Besatzung wohnte, sich hier außer der Kombüse und dem Kasino auch die Quartiere und Garderoben der Crewmitglieder befanden; und es konnte sein, ebenso das Krankenrevier – eine Möglichkeit, die sie später noch zu erkunden beschloß. Kaum schnupperte sie den Kaffee, dachte sie sich, daß etwas so Schlichtes und Gewöhnliches wie heiße, schwarze, koffeinhaltige Brühe genau das richtige sein könnte, um ihre Nerven zu beruhigen.
Vom Lift aus folgte sie dem Geruch, ohne eine Überlegung an die Wahrscheinlichkeit zu verschwenden, daß irgend jemand sich in der Kombüse aufhielt.
Sie konnte den Kaffee riechen, weil die Kombüse keine Tür hatte: Im Grunde genommen handelte es sich lediglich um eine große Nische in einem der Innenschotts, in der man an den drei Wänden die Kücheneinrichtung montiert und einen runden, von allen Seiten leicht zugänglichen Tisch aufgestellt hatte. Morn sah eine außerordentlich bemerkenswerte Luxus-Automatikküche, eine ganze Reihe von Vorratsschränken für Lebensmittel – für gängige Massenware genauso wie Spezialitäten – und natürlich die Kaffeemaschine. In der trockenen Schiffsluft dampfte die Kanne besonders stark.
Außerdem sah sie an dem Tisch einen Mann sitzen.
Bei seinem Anblick blieb sie erneut starr stehen. Sie wußte nicht, ob sie weitergehen oder zurückweichen sollte. Gefährlich kam ihr beides vor, und sie konnte im Moment nicht entscheiden, welches Risiko sich vorzuziehen empfahl.
Aber sie vergaß nicht, die Hände in den Taschen zu lassen.
Der Mann hatte die Finger um einen Becher heißen Kaffees geschlungen, als ob ihm die Wärme viel bedeutete. Seine Finger wirkten wegen ihrer Kürze feist, und sein Gesicht schien fett zu sein, weil es eine beinahe völlig runde Form hatte; trotzdem hatte er einen lediglich gedrungenen Körperbau, war nicht korpulent. Rund wie sein Gesicht waren auch die Augen. Sie zeichneten sich durch eine schwache Blautönung aus, wie sie Morn noch nie gesehen hatte. Sein dünnes, blondes Haar und das geruhsame Lächeln gaben ihm ein freundliches Aussehen.
Er blickte auf. Als er sie anschaute, spiegelte sich in seinen Augen und dem Lächeln gelinde Überraschung wider. Aber offenbar nahm er an ihrem Erscheinen keinen Anstoß. Er ließ ihr einen Moment lang Zeit zum Nachdenken. »Du machst den Eindruck, als bräuchtest du am dringendsten Schlaf«, sagte er schließlich, weil Morn sich nicht von der Stelle rührte. Auch seine Stimme klang nach
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