Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
ein neues Glied in der langen Kette von Frauen und Männern, die einmal den gleichen Eid wie wir leisteten, den Frauen und Männern, die geschworen haben, all das, was sie Zivilisation nannten, gegen das, was sie als innere und äußere Gefahren ansahen, zu verteidigen.
In dieser Hinsicht allerdings, in bezug auf unser ›Revier‹, sind wir, sei es in früheren Epochen oder in der Jetztzeit, ohne Beispiel. Nie zuvor ist die Polizei für die Fortdauer der Existenz der gesamten Species innerhalb des ganzen, großen Universums der Schöpfung verantwortlich gewesen.
Seit dem Anbeginn der Zeit hat die Polizei zahlreiche innere und äußere Gefahren zu bewältigen gehabt. Das ist unvermeidbar. Wir sind Menschen. Die meisten von uns können morgens nicht aus dem Bett steigen, ohne irgend jemand Verdruß zu verursachen. (Vereinzeltes Lachen) Doch alle diese inneren und äußeren Gefahren sind stets auch von Menschen ausgegangen, von anderen Menschen. Was ein Clan, ein Stamm oder eine Nation als Zivilisation bezeichnet, gilt woanders als Barbarei, oder man betrachtet es als Angriff auf die eigene, als naturgegeben empfundene Überlegenheit. Mißtrauen zwischen Völkern begünstigt Gewalt. Ökonomische Ungleichheit führt zu Neid und Gier. Und der Planet ist ein geschlossenes Ökosystem. Deshalb kommt es innerhalb der Zivilisationen oder zwischen verschiedenen Zivilisationen zu Konflikten um die Aufteilung der Ressourcen, ein verständliches Ringen, das im typischen Fall hinter der Maske religiöser oder politischer Meinungsverschiedenheiten ausgefochten wird.
Darum täuschen Sie sich nicht mit trügerischen Hoffnungen. Die Polizei hat allzeit und überall alle Hände voll zu tun.
Aber ausschließlich in unserem ›Revier‹ steht das Überleben der Menschheit an sich auf dem Spiel. Bei allen Auseinandersetzungen unserer langen, von Skrupellosigkeit gekennzeichneten, blutigen Vergangenheit hatte es Überlebende und Tote gegeben – doch die Überlebenden sind ebenso wie die Toten immer Menschen gewesen und geblieben.
In unserem ›Revier‹ hat dieser Grundsatz keine Gültigkeit.
Selbstverständlich ist der Begriff ›Revier‹ im Zusammenhang mit unserer Aufgabenstellung eine ganz extreme Übervereinfachung. Damit meine ich nicht nur die Frage der Jurisdiktion. Denn es gibt ja die Amnion. Einerseits legen sie keinen erkennbaren Wunsch nach Krieg an den Tag. Andererseits sind sie zutiefst imperialistisch. Ich sage ›zutiefst‹, weil ihre Sonderform des Imperialismus buchstäblich gegen den Kern dessen gerichtet ist, was unser Menschsein ausmacht, gegen den Kern unserer genetischen Existenz. Unser ›Revier‹ ist der gesamte Human-Kosmos, weil er in unsere Zuständigkeit fällt, weil die Amnion ihn uns entrissen, wenn sie es könnten. Und könnten sie es, brächten sie uns auch um das Eigentümliche, was wir mit Leib und Seele sind.
Aus diesem und keinem anderen Grund sind wir als Polizeiorganisation unserem Wesen nach vollständig einzigartig.
Und weil wir einzigartig sind, haben wir ein einmaliges Verhältnis zu den Menschen, deren Freund und Helfer wir sind, müssen wir es haben. Eben weil wir eine beispiellose Verantwortung für die Zukunft der Menschheit tragen, sind wir der Menschheit in einmaligem Umfang verantwortlich. Das bloße Ausmaß der Pflicht, die wir übernommen haben, verlangt uns eine besonders hohe Ebene der Rechtschaffenheit ab, einen den Anforderungen angemessenen Heldenmut, eine gänzlich neue Art der Aufopferung. Klar und deutlich ausgedrückt, wir müssen im Namen der Menschen tätig sein, denen wir dienen. Tun wir etwas anderes – verstößt die Barriere, die wir zwischen der Menschheit und ihrer Auslöschung errichten, irgendwie gegen das Vertrauen der Menschen, denen wir dienen, oder ihren Wunsch nach Freiheit –, dann sind wir falsche Polizisten. Dann werden wir von den Verteidigern der Zukunft zu ihren Herren. Anstatt schlicht und einfach der Zukunft ihren Lauf zu lassen, bestimmen wir statt der Männer, Frauen und Kinder über sie, die uns damit doch überhaupt nicht beauftragt haben.
Kadetten und Kadettinnen der Vereinigte-Montan-Kombinate-Polizeiakademie, es liegt in der Natur der Macht, daß ihr Beschränkungen ein Greuel sind, sie nach unumschränkter Entfaltung und unbegrenzter Ausübung verlangt. Und die Verpflichtung der Ethik und Moral ist es, der Macht Schranken zu ziehen, das Potential der Macht dergestalt zu formen und zu funktionalisieren, daß sie die Menschen, in deren
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