Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
Namen sie existiert, nicht beherrscht, sondern ihnen zu Diensten ist. Und daß wir als Polizei Macht haben, steht völlig außer Zweifel. Diese Feststellung mag Männern und Frauen, die gerade jahrelang etwas durchlitten haben, was wir so harmlos ›Ausbildung‹ nennen, nicht recht plausibel vorkommen, aber natürlich rede ich nicht von Ihnen, sondern von uns. Wir, die Polizei, haben unsere Macht um der Verantwortung für die Zukunft der Menschheit willen. Wir dürfen diese Macht niemals mißbrauchen. Wie gewissenhaft wir sind, wenn wir sie anwenden, so wachsam über uns selbst müssen wir hinsichtlich der Art und Weise sein, wie wir sie ausüben.
Ich möchte mich in dieser Frage vollkommen klar ausdrücken. Ihr Eid erlegt Ihnen eine Verantwortung auf, die weit über das Format jeder herkömmlichen Berufstätigkeit, jeder planetaren Arbeitsstelle oder Betätigung in einer Raumstation, über jedes minder strenge Pflichtbewußtsein weit hinausgeht. Lassen Sie mich einen Vergleich anführen. Denken sie an das Problem der Piraterie. Wir ›jagen‹ Piraten nicht, weil sie zufällig Illegale sind. Wir schießen nicht auf sie, weil sie als erste auf uns feuern, oder weil sie einen der Menschen, denen wir als Freund und Helfer dienen, geschädigt haben. Wir kämpfen aus dem gleichen organischen Grund gegen die Raumpiraterie, aus dem Antikörper ein Virus bekämpfen, weil nämlich, tun wir es nicht – oder haben wir keinen Erfolg –, der gesamte riesige Organismus namens Menschheit erkrankt und stirbt.
Verändert jedoch ein Antikörper nach und nach die Beschaffenheit des übergeordneten, größeren Organismus, verursacht der Antikörper Entgleisungen, die der höhere Organismus nicht wünscht und nicht steuern kann, dann sprechen wir von ›Krebs‹. Ähnlich wie das Virus löste dann auch der Antikörper Siechtum und Tod des Organismus aus. Aber im Gegensatz zum Virus verhält ein derartiger Antikörper sich falsch.
Die Amnion gleichen dem Virus. Das Virus wirkt darauf hin, die Funktionen zu verrichten, zu denen es infolge seiner normalen, genetisch vorbestimmten Aufgaben fähig ist, weil es dies schlichtweg tun muß. Der Krebs dagegen bedeutete einen Verstoß gegen den eigenen genetischen Code. Er ist mörderisch, weil die eigenen Eiweißketten verkehrt und falsch geworden sind.
Jene unter Ihnen, die für Analogien eine rasche Auffassungsgabe haben, werden auf Anhieb erkennen, daß die Raumpiraterie eine Art von Krebs ist.
Nun, könnte man sagen, wenn man sowieso sterben muß, welchen Unterschied bedeutet es, ob ein Virus oder Krebs die Todesursache abgibt? Unterm Strich besehen, macht es offenkundig gar keinen Unterschied aus. Aber solange man lebt, man noch eine Zukunft hat, ist es ein fundamentaler Unterschied. Erkrankt jemand an einem Virus, darf er jederzeit berechtigterweise hoffen, daß die Antikörper der Aufgabe, ihn zu retten, gewachsen sind. Aber wenn die Antikörper zu Krebs entarten, kann er nur überleben, wenn er in gewissem Umfang ihrer grundsätzlichen Natur nach gewalttätige Maßnahmen gegen den eigenen Organismus in Kauf nimmt: chirurgische Eingriffe, der Polymerase verheerend abträgliche Chemotherapie, für die Nukleotiden des Lebens selbst schädliche Strahlenbehandlungen oder gentechnisch erzeugte Raubmikroben, die den Krebs ausmerzen, von denen man sich jedoch nie sicher sein kann, ob sie nicht auch etwas anderes angreifen. Ob man mit dem Leben davonkommt oder nicht, der Krebs fügt zwangsläufig erheblicheres Unheil als eine Viruserkrankung zu.
Sind wir keine Antikörper, kein Ausdruck der Menschlichkeit des Organismus, dem wir angehören, dann sind wir Krebs, und der Menschheit ginge es ohne uns besser.
Das ist der Sinngehalt Ihres Schwurs, die einzigartige und unverzichtbare Pflicht, die Sie unbedingt beachten müssen.
Zum Abschluß meiner Ansprache möchte ich Ihnen unumwunden sagen, daß es mir letzten Endes einerlei ist, ob Sie Erfolg oder keinen Erfolg haben. Aufgrund des ebenso einfachen wie überzeugenden Arguments, daß wir der Versuchung widerstehen, eine bestimmte Zukunft anzustreben oder die Zukunft zu beeinflussen, können wir die Zukunft nicht garantieren. Der Weltraum hat eine gewaltige Ausdehnung, und die Amnion sind eine durch und durch rätselhafte Species. Niemand von uns kann voraussehen, was das Ergebnis unserer Bemühungen sein wird. Unsere Verantwortung für die Menschheit und gegenüber der Menschheit mutet uns nicht zu, es zu wissen. Beurteilen wird man uns
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