Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
ein.
Auch Milos hielt nichts von überflüssigen Risiken. Vielleicht war es noch möglich, auf der Grundlage dieser Gemeinsamkeit vernünftig mit den Amnion zu verhandeln.
Stoisch betrachtete Marc Vestabule, während das Wallen des Lichtscheins seine Funktion erfüllte. Nach ein, zwei Augenblicken öffnete sich die innere Schleusentür. Milos fuhr zusammen, rechnete unwillkürlich mit dem grauenhaften Anblick einer ganzen Amnionphalanx. Doch der Korridor hinter der Innentür war leer. Die Amnion vertrauten Vestabule bei der Tätigkeit, die er für sie ausübte.
Mit steifen Bewegungen, als wären Vestabules Gelenke nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich verrostet, winkte er Milos in den Korridor. »Bitte folgen Sie mir. Ich bringe Sie in einen Raum, wo Sie sich sicher fühlen können. Dort dürfen Sie mir Ihre Ansprüche mitteilen, so daß wir die Gelegenheit haben zu diskutieren, wie sie sich erfüllen lassen.«
Sich sicher fühlen. Klar.
Während er sich angestrengt abmühte, das gequälte Pochen seines Herzens zu mißachten, torkelte Milos Taverner dem Amnioni nach.
Zu dem von Vestabule erwähnten Raum war es nicht weit. Das bewertete Milos als Glück: viel weiter hätte er nicht laufen können. Sauerstoffmangel und Streß schienen seinen Gleichgewichtssinn zu beeinträchtigen, ihn immer stärker zu stören. Hätte er sich nicht jedesmal am sonderbar pheromonischen Metall der Wände abgestützt, wäre er einige Male hingefallen.
Als Vestabule ihn in einen Raum führte, der an Unpersönlichkeit und Kargheit dem Korridor vollauf glich, sah Milos mit einer gewissen Erleichterung, daß darin wenigstens Stühle standen. Zumindest konnte er sich setzen; falls es möglich war, die Atemmaske ab und zu abzunehmen, vielleicht sogar die eine oder andere Nik rauchen.
Ohne eine Aufforderung abzuwarten, ließ er seine laschen Glieder auf den nächstbesten Sitz sacken und wühlte das Päckchen Niks aus seiner Tasche.
Vestabule schaute zu, während er eine Nik aus dem Päckchen schüttelte und das Feuerzeug zückte. Der Ausdruck in der menschlichen Hälfte des Amnionigesichts deutete an, daß er nicht verstand, was Milos tat.
»Milos Taverner«, warnte er jedoch plötzlich, als Milos die Atemmaske hochschob, um sich die Nik in den Mund zu klemmen, »Ihr Verhalten ist gefährlich. Ihr Feuerzeug verursacht ohne Zweifel einen nur kleinen Funken. Es verwendet Magnesium, nicht wahr? Allerdings ist die Luft aus Ihrer Atemmaske sehr sauerstoffreich, unter Umständen so stark sauerstoffhaltig, daß der Funke größer als erwartet ausfallen könnte. Möglicherweise erleiden Sie eine gesundheitliche Schädigung.«
Im ersten Moment schien Milos Gehirn auf Null zu schalten. Er mußte Nik haben, benötigte Nik: das bißchen Mumm, das er noch aufbrachte, hatte keine andere Stütze mehr. Doch Vestabules Warnung hatte zur Folge, daß Milos sich lebhaft ausmalte, wie eine riesige Stichflamme aus dem Feuerzeug schoß, ihm das Gesicht und die Augen verbrannte… Magnesium war außerordentlich entzündlich und fand für Feuerzeuge nur in minimalsten Mengen Verwendung; und man durfte es ausschließlich in geeigneten atmosphärischen Milieus benutzen.
Zittrig steckte er die Nik in das Päckchen zurück, stopfte Packung und Feuerzeug wieder in die Tasche. Nochmals empfand er eine nebulöse Anwandlung der Erleichterung und Dankbarkeit. Vestabule hatte ihn davor bewahrt, sich zu verletzen, vielleicht zu erblinden. Also war es nicht ausgeschlossen, daß sie ihn doch als wichtigen Bundesgenossen einstuften.
»Ich habe Sie niemals wissentlich angelogen«, bekräftigte er, indem er, vor Schwindelgefühl und verzweifelter Hoffnung halb umnachtet, durch die Atemmaske sprach. »Das müssen Sie mir glauben. Soweit ich es wußte, ist alles, was ich Ihnen erzählt habe, wahr gewesen. Aber ich kann es ja nicht verhindern, wenn ich von anderen Leuten belogen werde.«
Langsam ergriff Marc Vestabule einen anderen Stuhl, stellte ihn Milos gegenüber ab und nahm darauf Platz. Als er saß, trennten nur noch Zentimeter seine Alienknie von Milos’ Beinen. Glücklicherweise beugte er sich nicht vor: Milos war der Überzeugung, eine noch zudringlichere Nähe des Amnioni nicht verkraften zu können.
»Dann wäre es wohl gut«, schlug Vestabule vor, indem er den menschlichen und den amnionischen Arm auf der Brust verschränkte, »Sie erläutern als erstes die Lügen und die Wahrheiten, zu deren Aufklärung Sie uns jetzt persönlich aufgesucht
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