Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
überschreiten, und dann abwarten; warten und hoffen, daß sie, falls irgend etwas geschah, auf die richtige Weise eingreifen konnten.
Ohne Zweifel würden nachfolgende Funksprüche ihr mitteilen, was man unter ›entsprechenden Reaktionen‹ verstand. Trotzdem verstimmte es Min, daß die Befehle in dieser Hinsicht keine eindeutige Vorgabe enthielten. Sollte sie jene retten, die Josuas Aktion gegen Kassafort überlebten? Oder im Gegenteil sicherstellen, daß es keine Überlebenden gab?
Versuchte Warden Dios sie zu schützen, indem er ihre Fähigkeiten für so etwas verschwendete, oder hatte er einen besseren, weitergehenden Nutzen zum Ziel?
Bei der Vorstellung, daß es seine einzige Absicht sein könnte, es ihr zu ersparen, mit ihm ins Unheil gerissen zu werden, hätte sie am liebsten vor Wut aufgeheult.
Ist das alles, wofür er mich als geeignet ansieht? Hinter ihm, wenn er nicht mehr da ist, den Dreck wegzukehren?
Während sie sich die geröteten, entzündeten Augen und die pochenden Schläfen rieb, rief sie ihn an, um eine Antwort zu verlangen.
Trotz ihrer Verärgerung erschreckte es sie regelrecht, als sie ihn sofort an den Apparat bekam. Seine Bereitschaft, sich ihren Fragen – ihrer Herausforderung – zu stellen, verdutzte sie.
»Ihre Befehle liegen mir vor«, sagte sie ganz überflüssigerweise; und dann stockte sie schon. Sobald sie seine feste, sichere Stimme hörte, verflog ihre Fähigkeit, ihn ihren Zorn spüren zu lassen.
»Gut.« Aus dem Lautsprecher auf Mins Schreibtisch erweckte Dios den Eindruck der Unzugänglichkeit und Barschheit. »Wann können Sie mit der Rächer unterwegs sein?«
Für einen Moment verschwamm Min alles vor Augen; auch durch Reiben konnte sie den Blick nicht klären. »Das Schiff führt zur Zeit das Bremsmanöver durch. Sobald die Geschwindigkeit ausreichend verringert worden ist, fliegt es in die Tach-Übersprungszone. In fünfzehn Minuten steige ich in ein Shuttle und kann in zwei Stunden an Bord der Rächer sein. Dann brauchen wir nur noch zu beschleunigen und können in die Tach überwechseln.«
Alles was wir brauchen, ist ein überzeugender Grund. Eine Begründung, an die ich glauben kann.
»Gut«, sagte Dios ein zweites Mal.
Einen Moment lang schwieg er. »Aber darum haben Sie nicht angerufen, Min«, äußerte er gleich darauf mit leiserer Stimme. »Also rücken Sie damit heraus, was Sie stört. Voraussichtlich erhalten Sie sonst für längere Zeit keine Gelegenheit mehr.«
Ein neues Rinnsal Blut kitzelte Min Donners Oberlippe. Mit dem Handrücken wischte sie es weg. Plötzlich hatte ihr Unmut sich in Trauer verwandelt. Sie wußte nicht, wie sie den Abgrund zwischen sich und dem Mann, dem sie diente, überbrücken sollte.
Mit Mühe schluckte sie. »Während der ganzen Zeit, in der wir diese Operation geplant haben, ist von Ihnen nie die Absicht erwähnt worden, mich oder ein weiteres Raumschiff hinzuschicken«, gab sie zur Antwort. Der nächste Kaze könnte bei dir aufkreuzen. Es ist meine Pflicht, auf dich aufzupassen. »Was hat sich geändert?«
»Noch nichts«, erklärte Dios ohne Umschweife. »Aber es wird sich einiges ändern.«
Doch sofort schränkte er seine Auskunft ein. »Aber das ist nicht wörtlich zu nehmen. Was ich meine, ist nämlich, daß sich nichts geändert hat, was Thanatos Minor betrifft, aber sich offenbar hier manches ändert. Ich hatte nicht mit Kaze gerechnet« – in seinem Tonfall klangen Andeutungen des Mißmuts an – »und erst recht nicht erwartet, daß man mir Frik abserviert. Und außerdem« – er machte zwischen den Sätzen keine Pause – »hat sich eine Änderung ergeben, über die ich Sie noch informieren muß. Wir erweitern unser Kommunikationsnetz auf die stellare Region, die Sie anfliegen. Jede Kurierdrohne und alle Lauschposten, die wir haben oder noch zum Einsatz bringen können, wird auf den Empfang von Funkaktivitäten aus der Richtung Thanatos Minors eingestellt. Ich versuche, das K-Netz in dem Quadranten auf mehrere Kubiklichtjahre auszudehnen, auf eine so große Zone des Weltalls, wie sich momentan abdecken läßt, und trotzdem zu gewährleisten, daß der Nachrichtenverkehr mit dem HQ und umgekehrt eine Sache von Stunden bleibt. Es dürfte Ihnen also möglich sein, mit uns in Kontakt zu bleiben.«
Diese Information entgeisterte Min. Sie wußte nicht, was sie davon halten sollte. »Warden…« Warum war sie in dieser Situation so schwach, obwohl sie doch so verzweifelt stark zu sein wünschte? »Monatelang haben
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