Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
genügt, um ihre volle Beachtung zu beanspruchen. Aber sie brauchte auch Zeit und ebenso seelischen Freiraum, um die Tragweite ihrer Aussprache mit Warden Dios innerlich zu verarbeiten.
Leider erstreckte ihre Verantwortung sich nicht allein darauf…
Zudem stand sie vor einem Desaster ungeheuerlichen Ausmaßes.
Godsen Frik war tot. Vor kaum zwanzig Minuten hatte ein Kaze ihn zu Gulasch und Knochenstücken zerfetzt.
In den Korridoren rannten noch immer Männer und Frauen umher, verständigten sich durch Rufe und Gebrüll; machten Platz für die Schadensbekämpfungstrupps und Untersuchungsteams; fahndeten nach weiteren Kaze.
Mit einem Schlag herrschte im VMKP-HQ Großalarm. Zu spät.
Sie hatte den Eindruck, die Detonation noch jetzt zu hören, obwohl sie sich zu weit entfernt aufgehalten hatte, um mehr als einen unbestimmbaren Stoß durch die Wände und übrige bauliche Struktur der Station wahrzunehmen. Das Singen in ihren Ohren glich momentan eher einem Echo von Godsen Friks Tod als einem Nachhall des Mordversuchs an Kapitän Vertigus.
Sie war Min Donner, Direktorin der Operativen Abteilung. Auch die Sicherheit des VMKP-HQ fiel in ihre Zuständigkeit. Wenn im EKRK-Komplex ein Kaze zu den Konzilsdeputierten vordrang, traf sie daran keinerlei Schuld; doch es gab niemanden außer ihr, dem man die Verantwortlichkeit für Godsen Friks Ermordung beimessen konnte.
Wie viele Kaze mochten sich noch in der Station befinden? Wen oder was würden sie als nächstes vernichten?
Mittlerweile hatten Mins Mitarbeiter das Attentat bereits rekonstruiert, so gut es ging. Friks Sekretärin war durch umherfliegende Trümmer verletzt worden, war aber am Leben geblieben – und bei Bewußtsein. Sie hatte gegenüber Mins Sicherheitschef ausgesagt, bei ihr sei ein Kommunikationstechniker erschienen und hätte darum gebeten, den RÖA-Direktor sprechen zu dürfen. Weil das Ansinnen ihr sonderbar vorkam, hatte die Sekretärin sowohl seine Id-Plakette wie auch seinen Dienstausweis der Kommunikationsabteilung überprüft. Beide sahen echt aus. Und darüber hinaus hatten beide auch den Routinecheck durch den Sicherheitscomputer bestanden. Also rief sie Frik an. Vom RÖA-Direktor war sie angewiesen worden, den Techniker vorzulassen.
Fünf Sekunden, nachdem der Kaze die Tür hinter sich geschlossen hatte, zündete er den Sprengstoff.
Die Sekretärin hat ihre Pflicht erfüllt, konstatierte der Sicherheitschef. Man kann ihr keinen Vorwurf machen.
Ich mache ihr keinen Vorwurf, hatte Min geschnauzt. Nicht einmal Ihnen mache ich einen. Ich will nichts anderes, als von Ihnen wissen, wie es passiert ist.
Ich will wissen, ob es nochmals geschehen kann.
Es ist passiert, hatte der Sicherheitschef erklärt, weil sie nur eine Routineüberprüfung und keine komplette Recherche vorgenommen hat. So ist es bei der Kontrolle überall abgelaufen. Als er das Shuttle verließ, hat die Parkbuchtenwache ihn nur routinemäßig gecheckt. Vorher ist er vom Raumhafenpersonal lediglich im Rahmen der Routine überprüft worden. Und davor hat der EKRK-Schutzdienst ihn bloß mit Routinemaßnahmen einem Sicherheitscheck unterzogen, ehe er den Raumhafen betreten durfte.
Einen Moment mal. Der EKRK-Schutzdienst? Sie meinen, der Kaze ist von Suka Bator gekommen? Aus dem EKRK-Regierungsgebäude?
Ganz genau.
Min Donners Sicherheitschef schwieg, während die Direktorin vor sich hinfluchte. Danach hatte er seine Erläuterungen fortgesetzt.
Seine Id-Plakette war völlig in Ordnung. Alle EKRK-Kontrollimprägnationen waren korrekt, sämtliche Paßwort-Codes stimmten, alles im KMOS-Chip Gespeicherte war einwandfrei. Er hatte eine dienstliche Anweisung des EKRK-Kommunikationszentrums dabei, die besagte, er sollte sich in unserer VMKP-HQ-Kommunikationsabteilung melden. Auch sie hat jeder Überprüfung standgehalten, obwohl das EKRK-Kommunikationszentrum bestreitet, sie erteilt zu haben. So lange niemand mißtrauisch wurde, niemand eine komplette Recherche durchführte, hätte er, nachdem die Parkbuchtenwache ihn hereingelassen hatte, praktisch überall hingehen können.
Wie lauten die Ergebnisse der Komplettrecherche?
Nichts. Der Mann hat nie existiert. Ich meine, über ihn fehlen alle amtlichen Unterlagen. Seine Id-Plakette und sein Dienstausweis sind nie ausgestellt worden. Echt war die Id-Plakette… Das soll heißen, die Daten passen zu dem, was das Labor bis jetzt anhand der Blutspuren und Gewebereste aus Friks Büro herausgefunden hat. Offiziell ist sie aber nie
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