Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
hatte.
Er verkörperte ein gescheitertes beziehungsweise unvollständig gelungenes Experiment: er war ein Mensch, dem die Amnion in der Hoffnung ein Mutagen injiziert hatten, es würde ihn in jemanden ihresgleichen umwandeln – genetisch und psychisch –, ohne seine äußere Gestalt zu verändern. Doch von seinem einstigen Wesen waren nur Reste übrig. Er verfügte noch über einige Bereiche des ursprünglichen Gehirns, mancherlei menschliche Angewohnheiten und ein paar verbliebene Denkmuster. Auch ein Großteil seines Körpers war noch menschlich: ein Arm, weite Teile des Brustkorbs, die Schienbeine, das halbe Gesicht. Und er konnte ohne größere Schwierigkeiten die von Menschen benötigte Luft atmen. Dagegen bestanden beide Knie aus so dicken Klumpen Amnionhaut, daß an seinen Bordmonturen die Beine aufgeschnitten werden mußten, um ihm Bewegungsfreiheit zu ermöglichen. Der andere Arm sah wie ein verrosteter eiserner Ast aus. Und eine Hälfte seines Gesichts entstellten ein zum Zwinkern unfähiges Amnionauge sowie spitze Zähne ohne Lippen.
Er betrat zwischen Liete und Simper die Brücke, als wäre Furcht ihm fremd; als hätte das Verwerfen individueller Bedeutsamkeit, die einen fundamentalen Bestandteil der Amnionphilosophie abgab, ihm Mißachtung der eigenen Sterblichkeit eingeflößt; hätte er eingesehen, daß seine Einzigartigkeit lediglich ein zweckbestimmtes Werkzeug war, aber keine Sache der Identität. Darin hatte er eine Stärke. Aber vielleicht war es gleichzeitig seine Schwachstelle.
»Sagen Sie bloß nicht«, polemisierte Nick gedehnt, sobald der Unterhändler vor ihm stand, »Sie möchten sitzen.«
Bei dieser Anspielung auf das vorherige Zusammentreffen blinzelte Marc Vestabule kurz mit dem menschlichen Auge. »Nein, Kapitän Succorso.« Seine Stimme klang, als feilte man Rost von einer Eisenstange. »Ich möchte, daß Sie die mit den Amnion eingegangenen geschäftlichen Vereinbarungen einhalten.«
Nick hob die Schultern. »Gut, aber ich setze mich hin. Wenn ich ’ne widerliche zermanschte Frikadelle wie Sie anschaue, wird mir ganz flau zumute.« Mit einem knappen Wink scheuchte er Mikka von der Kommandoposition. Gemächlich rückte er sich im G-Andrucksessel zurecht und drehte den Sitz Vestabule zu.
»Scorz, die Unterredung wird aufgezeichnet«, befahl Nick, während er dem Unterhändler ins geteilte Gesicht grinste. »Die Aufzeichnung ist auf automatische Abstrahlung für den Fall zu schalten, daß wir heimtückisch angegriffen werden oder Vestabule hier den Kamikaze mimt. Dann soll die Leitzentrale wissen, was wir besprochen haben. Aber nur« – die Einschränkung war ihm wichtig genug, um sie zu betonen – »bei einer Attacke oder wenn wir Beschädigungen erleiden. Solange dieser Clown keine Faxen macht, bleibt das Gespräch unter uns.«
»Geht klar.« Sofort ging Scorz an die Arbeit.
»So«, sagte Nick zu Vestabule. »Warum fangen Sie nicht einfach damit an, daß Sie mir erzählen, an welche Vereinbarungen ich mich halten soll… Und wieso eigentlich. Bloß so daß wir alle genau wissen, wovon wir überhaupt reden.«
Einschließlich der Leitzentrale.
Vestabules einseitiges Augenzwinkern mochte das einzige Anzeichen dafür sein, daß er Erregung oder Ärger wie ein Mensch empfand. »Kapitän Succorso«, antwortete er, »Ihr Benehmen ist närrisch.« Seine Miene gab so wenig wie seine Haltung irgend etwas von seinen Gemütsregungen preis. »Sie beugen gegen Gefahren vor, die nicht existieren, aber zur gleichen Zeit verschlimmern Sie die Gefährdung, in der sie wirklich schweben. Sie haben mit den Amnion Abmachungen getroffen, die…« Anscheinend suchte er nach der richtigen Formulierung. »Freiwillige Abmachungen. Es geht um eine wechselseitige Erfüllung der Ansprüchen Ihre Ansprüche sind erfüllt worden. Unsere Ansprüche haben Sie nicht erfüllt.«
»Das ist nicht meine Schuld«, entgegnete Nick in freundschaftlichem Ton. »Es ist so abgelaufen, wie ich’s Ihnen geschildert habe. Die Mutter des Bengels ist übergeschnappt. Von mir aus nennen Sie’s Meuterei. Die Person ist gebändigt worden. Aber sie ist verrückter, als ich dachte. Danach hat sie sich noch mal befreit.«
»Mehr als einmal haben Sie versprochen, Ihren Teil der Vereinbarungen einzuhalten«, konstatierte Vestabule, als ob Nick kein Wort von sich gegeben hätte. »Aber es ist nicht geschehen. Sie haben die Rechtmäßigkeit unserer Entschädigungsforderung zum Ausgleich der uns von Ihnen verursachten
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