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Amnion 4: Chaos und Ordnung

Amnion 4: Chaos und Ordnung

Titel: Amnion 4: Chaos und Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Fasners Befehle – und ebenso die eigenen Anweisungen –, um sie Min Donner an Bord der Rächer übermitteln zu lassen.

 
SIXTEN
     
     
    Kapitän Sixten Vertigus war ein alter Mann. – Er spürte sein Greisentum schon morgens beim Aufstehen, und das Gesicht, das ihn im Spiegel begrüßte, glich aufgrund seiner Falten einem zerknitterten Bogen Papier. Was er noch an Haar hatte, hing in so feinen Büscheln an seinem Schädel, daß es auf jede Statik ansprach. Wenn er sich rasierte – eine zwar atavistische Angewohnheit, die er aber nicht aufgeben mochte –, zitterten ihm die Hände, als verrichtete er schwere Arbeit; und die Haut seiner Hände war so durchsichtig, daß sich darunter die Adern und Sehnen erkennen ließen. Anziehen konnte er sich nur mit erheblicher, lästiger Umständlichkeit.
    Als Greis betrat er sein Büro im Konzilsdeputiertentrakt des EKRK-Regierungskomplexes; als Greis erschien er im Beratungssaal des Konzils; und geschah es einmal, daß er sein Alter vergaß, erinnerte jeder, der ihm begegnete – vom untersten Datenarchivangestellten bis hin zu Abrim Len –, ihn wieder daran, indem er ihn wie einen Invaliden behandelte, der sich nur zeitweilig von dem Bett erhoben hatte, in dem er schon längst hätte den Geist aufgeben müssen.
    Als Greis schaute er zu, wenn Mitarbeiter auf seinem Schreibtisch Akten hin- und herschoben; wenn seine Deputiertenkollegen vortäuschten, ihn in ihre Diskussion einzubeziehen, weil er als lebende Legende galt und deswegen schwerlich übergangen werden konnte; während die anderen Konzilsdeputierten und ihre Mitarbeiter – Konzilsvorsitzender Len und seine Sekretäre – unentwegt und immerzu, bis ins Detail, über die ebenso end- wie geistlosen, aber unverzichtbaren Angelegenheiten quasselten, die das Regieren des Human-Kosmos betrafen. Manchmal schlief er in Wahrheit, wenn sein Blick auf Zeitgenossen ruhte; und selbst im vollsten Wachzustand waren seine Augen so fahl, daß er den Eindruck eines Blinden erregte; er hätte jemand sein können, dem das Sehvermögen nichts mehr bedeutete.
    Obendrein hatte er infolge des Attentats noch Beschwerden im ganzen Körper. Noch fühlte er die Nachwirkungen der Explosion, durch die Marthe getötet worden war und die beinahe auch Sixten selbst das Leben gekostet hätte, in den gebrechlichen Knochen, seinem müden Kopf, dem wehen Brustkorb und dem schwachen Magen.
    Bei gewissen Anlässen – und momentan besonders – war ihm zumute, als wäre er inzwischen mehr als ein Greis; hatte er das Empfinden, ein steinaltes Relikt zu sein. Allem Anschein nach war der einstige Held des Explorationsraumschiffs Komet und erste Mensch, der mit den Amnion Kontakt gehabt hatte, vollständig und unwiderruflich zum Fossil geworden.
    Freilich befand er sich damit in keiner untherapierbaren Verfassung. In seiner Eigenschaft als Ehrenvorsitzender der EKRK-Fraktion des Vereinten Westlichen Blocks hätte er sich ohne weiteres denselben Verjüngungstechniken unterziehen können, die Holt Fasners Leben verlängert hatten. Doch er sah davon ab; er erwog es nicht einmal. Er mochte gar nicht so lange leben, daß er noch mitansehen müßte, wie der Drache die Zukunft der Menschheit gestaltete.
    Um eine herausfordernde Aufgabe wie den Versuch anzupacken, Holt Fasners Sturz herbeizuführen, war er viel, viel zu alt.
    Wäre ihm ein anderer Konzilsparlamentarier eingefallen, dem er zugetraut hätte, daß er ein derartiges Wagnis einging und die Konsequenzen zu tragen bereit war – nur ein einziger –, er hätte ihm sofort die Verantwortung abgetreten. Soviel er wußte, gab es allerdings keinen zweiten Kandidaten zur Verwirklichung des Anliegens. Die auf Suka Bator tätigen Leute, die möglicherweise die Neigung mitgebracht hätten, das Risiko nicht zu scheuen – Sonderbevollmächtigter Igensard kam Sixten in den Sinn, weil er jeden Moment in seinem Büro vorzusprechen gedachte –, blieben wegen gewisser Motive ausgeschlossen, die Sixten günstigstenfalls als irrig, im schlimmsten Fall sogar als verhängnisvoll erachtete. Und der gesamte Rest hatte zuviel Manschetten, die Konzilsdeputierten noch mehr als ihre Untergebenen.
    Deshalb betrachtete er es letzten Endes als Vorteil, alt zu sein. Denn was hatte er schon noch zu verlieren? Viel Zeit blieb ihm so oder so nicht mehr. Nie hatte er über irgendeine signifikante Machtfülle verfügt. Seine Stellung als Held des Explorationsraumschiffs Komet sowie als VWB-Fraktionsehrenvorsitzender im EKRK, ganz zu

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