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Amnion 4: Chaos und Ordnung

Amnion 4: Chaos und Ordnung

Titel: Amnion 4: Chaos und Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Blut.
    Der Sonderbevollmächtigte war ein graumausiger Typ, der ein Gehabe der Indifferenz kultivierte, durch das er kleiner wirkte als er war; das Haar schmiegte sich an seinen Kopf, als wollte es keine Aufmerksamkeit erregen. Er trug graue, schmucklose, nichts als ordentliche Bürokratenkleidung neutralen Zuschnitts: jeder Beliebige hätte in seinem Anzug stecken können. Aber weil der Anzug nicht maßgeschneidert war, verbarg er Igensards unpassenden Kugelbauch nicht. Infolgedessen bot sein Bauch einen schroffen Gegensatz zu dem hageren Gesicht und den mageren Gliedmaßen. Von dem Wanst abgesehen, hinterließ er den Eindruck eines Menschen, der zuwenig aß, um jemals korpulent zu werden.
    »Es ist einfach, Sonderbevollmächtigter, jemanden wie mich beim Pennen zu ertappen, während Sie sich wahrscheinlich genügend Schlaf gönnen dürfen.« Sixten sparte sich die Mühe des Aufstehens; er hatte genug Jahre auf dem Buckel und hinlänglichen Status, um in nahezu jedermanns Anwesenheit sitzen bleiben zu können. »Aber im Moment sehen Sie aus, als hätten Sie tagelang nicht geschlafen.«
    Damit äußerte er keineswegs die Wahrheit: in Wirklichkeit sah Maxim Igensard nicht müder oder weniger wach als gewohnt aus, und er hatte frische Kleidung am Leib. Doch Sixten dichtete dem Sonderbevollmächtigten gerne Schwachpunkte an. Die unerfreuliche Alternative wäre gewesen, glauben zu müssen, Igensard sei tatsächlich so frei von Schwächen, wie sein Auftreten nahelegte.
    »Nehmen Sie ruhig Platz«, fügte Sixten hinzu, deutete auf den Sessel vor dem Schreibtisch.
    Von dieser Sitzgelegenheit aus konnte Igensard nicht die kleine Leuchttaste sehen, die die Betriebsbereitschaft von Sixtens privatem Interkom-Apparat anzeigte.
    »Nicht doch, Kapitän Vertigus.« Igensards Tonfall harmonierte an Trübheit und Bescheidenheit mit seiner Erscheinung und blieb bar jeglichen Humors. »Selbstverständlich habe ich viel Arbeit zu bewältigen. Aber mir stehen tüchtige Mitarbeiter zur Seite. Und eine Anzahl anderer Konzilsdelegierter gewährt mir bereitwillig jede Unterstützung.«
    Aber er lehnte es nicht ab, sich zu setzen.
    Dank irgendeiner Eigentümlichkeit der Wahrnehmung machte sein Bestreben, kleiner auszusehen, seine Statur robuster, wenn er saß; quasi fester, vielleicht auch kraftvoller, als enthielte er einen nuklearen Kern, der auf seine kritische Masse zusammenschrumpfte.
    »Ihre Besorgnis ist unbegründet«, stellte er klar, »und zwar schon deshalb, weil nicht ich in letzter Zeit zum Ziel von Meuchelmördern geworden bin.« Energisch unterlief er Sixtens Versuch, den Lauf des Gesprächs zu bestimmen. »Sind Sie auch bestimmt heil geblieben? Konzilsvorsitzender Len hat mir versichert, Sie seien nicht verletzt worden, aber das kann ich kaum glauben. Sie waren so nah an der…« Rücksichtslos unterbrach Sixten ihn. »Entschuldigen Sie, Sonderbevollmächtigter.« Er hatte nicht vor, mit diesem Mann die Kaze-Attacke zu diskutieren. »Mein erster Eindruck war, Sie sähen müde aus. Es wird wohl an meinen Augen liegen. In meinem Alter kann ich solche Irrtümer weiß Gott nicht mehr auf die Lichtverhältnisse schieben. Wollen wir gleich zur Sache kommen? Sie haben bei mir um einen Termin ersucht. Ich kann für Sie soviel Zeit erübrigen, wie wir brauchen. Aber daß Sie jede Menge zu tun haben, ist mir bekannt. Der beste Mitarbeiterstab der Welt kann einen Mann in Ihrer Position von übermäßiger Beanspruchung nicht erleichtern. Was kann ich für Sie tun?«
    Gegen so feinen Sarkasmus war Maxim Igensard gefeit. Er lächelte auf eine Weise, die seine ausdruckslose Miene nicht verzog, und sein unnahbarer Blick wurde davon nicht weicher.
    »Ich hoffe sehr, Sie werden mich Maxim rufen, Kapitän Vertigus«, gab er zur Antwort. »Wir kennen uns kaum, aber ich möchte mit Ihnen so unverblümt wie mit einem Freund sprechen dürfen. Ich jedenfalls bin vollauf bereit, zu Ihnen ganz offen zu sein. Wenn Sie es wünschen, behandle ich unser Gespräch vertraulich, nur glaube ich, es wäre von höchstem Wert, könnten wir vollkommen ehrlich miteinander reden.«
    »Ich weiß Ihre Freundlichkeit zu schätzen, Maxim.« Sixten spitzte den Mund und bekam dadurch ein Gesicht, das seiner Einschätzung nach einer Trockenpflaume ähnelte; doch er wandte diesen Trick vorsätzlich an, weil er dabei so viele Gesichtsmuskeln bewegte, daß Emotionen wie Überraschung, Konsternation oder Verzweiflung verborgen blieben. »Allerdings muß ich gestehen –

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