Amnion 4: Chaos und Ordnung
kann selbst die Verantwortung für meine Verbrechen tragen.«
Doch die Mühe des Beherrschens zerrüttete sie ebenso stark wie der Anblick seiner Furcht. Sie mußte schreien; das Gesicht zur Decke heben und heulen, bis ihr das Herz brach.
»Wenn du uns in den Rücken fallen willst«, zischte sie ihn erbittert an, »dann tu’s! Aber benutze nicht mich als Vorwand. Und rede dich auch nicht mit Sorus Chatelaine raus! Sie hat nichts anderes getan, als dich unter Druck zu setzen. Sie ist nicht hier und hält dir keine Pistole an den Kopf.«
Sobald sie die volle Grobheit ihres vierschrötigen Naturells aufbot, war Ciro ihr nicht mehr gewachsen. Sie konnte ihm ansehen, daß angesichts ihrer derben Unverblümtheit sein restlicher Widerstandswille zerstob. Er mußte schon innerlich weich gewesen sein: Sorus Chatelaine hatte in seinem Innenleben etwas zertrümmert, das er zu seinem Rückhalt benötigte. Um ihn zum Sprechen zu bringen, hatte Morn ihn gnadenlos aus der Reserve gelockt. Und jetzt schalt seine Schwester ihn aus, als wäre er ein Stück Dreck…
»Nein, sie ist nicht hier«, pflichtete er notgedrungen bei; gab es zu wie ein geprügeltes Kind. »Es ist viel schlimmer.«
Genau wie Morn stierte Mikka ihren Bruder an, als wäre sie plötzlich gelähmt. Angus hatte ihr den Schädel angeknackst. Warum hatte er ihr nicht auch die Trommelfelle zerhauen? Sie wollte nicht hören, was Ciro zu sagen hatte. Es mochte für sie zuviel sein.
Doch Ciro war zu einem Entschluß gelangt. In der Koje niedergeduckt, regelrecht in die Enge gedrängt, die Augen voller Gram, erzählte er Mikka und Morn mit schmerzlicher Stimme, was sie zu erfahren wünschten.
»Sie dient den Amnion, weil sie ihr ein Mutagen gespritzt haben. Ein spezielles Mutagen. Es wirkt langsam. Die Amnion haben ihr ’n Gegenmittel verfügbar gemacht. Es schiebt die Wirkung des Mutagens auf. Sie bleibt so lange Mensch, wie sie das Gegenmittel erhält. Solang ihr Nachschub zugeht. Aber sobald sie’s nicht nimmt oder man es ihr verweigert, tritt die Wirkung des Mutagens ein.«
Seine Stimme sank beim Sprechen immer weiter herab. Aber gleichgültig, wie leise sie wurde, Mikka konnte sie hören. Das Getöse, das in ihrem Schädel widerhallte, gewährte ihr keinerlei Schutz. Es stand außerhalb ihrer Macht, sich selbst zu verzeihen. Nick hatte Ciro geopfert, und sie hatte daran schuld. Sie hatte Nick ihren Bruder so gewiß ausgeliefert, als hätte auch sie in ihm nichts anderes als einen Köder gesehen.
»Sie hat das gleiche mit mir gemacht. Sie und ein Mann. Ich glaube, es könnte Milos Taverner gewesen sein.«
Inzwischen rannen ihm Tränen aus den Augen, aber er bemerkte sie nicht. Auch Mikka nahm sie kaum wahr.
»Mir ist von ihr versprochen worden, wenn ich unsere Antriebsaggregate sabotiere, so daß wir nicht mehr dazu in der Lage sind zu fliehen oder uns zu wehren, will sie mich in ihre Crew aufnehmen und mit dem Gegenmittel versorgen.« Ein Schluchzen beengte ihm die Kehle. »Damit ich Mensch bleibe.«
In ihre Crew aufnehmen. Mikka stöhnte. »Und das glaubst du?«
»Ich muß«, antwortete er schlichtweg.
Muß? Natürlich mußte er es glauben. Sorus Chatelaine hatte ihm ein Mutagen in die Adern injiziert. Es gab nichts anderes mehr, an das er hätte glauben können.
Mikkas Drang zum Heulen schwoll bis zu so einem Maß an, daß sie es nicht mehr zu unterdrücken vermochte. Sie stieß sich von der Koje ab, schwang aus purer Hilflosigkeit die Fäuste und gab einen Schrei von sich, der aus innerstem Herzen drang.
Sofort packte Morn sie am Brustteil der Bordmontur, hielt sie auf die gleiche Weise wie vorher Ciro fest. Ihre Augen waren kalt und düster, trostlos wie eine Eiswüste. »Mikka! Für so was haben wir keine Zeit!«
Ihre Worte trafen Mikka wie eine Ohrfeige. Sie führte einen wilden Hieb nach Morns Kopf. Doch die G war zu niedrig, um ihr für dergleichen hinlänglichen Halt zu geben. Die eigene Kraft lenkte sie vom Ziel des Faustschlags ab.
Als sie sich an der Kabinenwand abgefangen hatte, stand Morn schon an der Interkom.
Ohne auf Mikka zu achten, aktivierte sie den Apparat.
»Vector? Bist du da? Ich brauche dich!«
»Ich bin hier, Morn«, ertönte unverzüglich Vectors Antwort. Infolge Konzentration oder des Metalls der Schaltkreise klang seine Stimme zerstreut; zu weit fort, als daß man ihn erreichen könnte. »Laß mir noch zwanzig Minuten. Ich möchte ungern mitten in dieser Sache aufhören.«
»Vector…«, begann Morn.
»Es wird
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