Amnion 4: Chaos und Ordnung
noch?«
Mikka begriff kaum, was er da redete; Chaos und Fatalismus tosten durch ihr Gemüt. Ciro hingegen ging so sachlich, wie es ihm momentan möglich war, auf Vectors Frage ein. »Sie hat mir Pillen für zwölf Stunden mitgegeben«, antwortete er, obwohl sein Kehlkopf konvulsivisch zuckte. »Ich muß in…« Sein Blick streifte das Wandchronometer der Kabine. »In neun Minuten muß ich wieder ’ne Pille schlucken.« Er klaubte ein kleines Fläschchen aus der Tasche der Bordmontur. »Mehr hab ich nicht übrig.«
Vector nickte. »Das müßte reichen.« Ohne Zögern wandte er sich zur Tür. »Ich brauche ’ne Spritze. Ich bin gleich zurück.«
Mikka war zumute, als verlöre sie die Besinnung; als wäre sie eine Ertrinkende. Sie wußte nicht, wie sie mit der Besorgnis, Morn könnte unrecht haben, umgehen sollte; der Furcht, Vector könnte zu spät gekommen sein, um Ciro zu retten. »Wozu soll denn das gut sein?« schnaufte sie, röchelte nach Luft.
Vector schaute sie an und hob die Brauen. »Ich muß eine Blutprobe nehmen«, erklärte er. »Der Medi-Computer kann sie analysieren. Vielleicht werden mir dadurch nicht alle Fragen beantwortet, aber ich ersehe daraus, wie stark das Mutagen den Mutagenen ähnelt, gegen die Nicks Antimutagen wirksam ist. Inzwischen weiß ich beträchtlich mehr über die Effektivitätslimits des Mittels, als ich noch vor ein paar Stunden wußte.«
Ciro hing an seinen Lippen, lauschte jedem Wort, als wäre Vector dazu imstande, ihm durch bloßes Reden das Menschbleiben zu garantieren. Mikka jedoch konnte sich nicht zurückhalten. Falls sie sich zu glauben durchrang, daß Vector ihrem Bruder helfen konnte, aber später sein Vorhaben mißlang, schlug sie ihn möglicherweise tot.
»Und wozu«, stieß sie hervor, als wäre sie am Ersticken, »soll das nützlich sein?«
Vector hob die Schultern. »Wenn die Ähnlichkeit groß ist und Chatelaines Gegenmittel das Mutagen tatsächlich in passivem Zustand beläßt, müßte unser Antimutagen anschlagen. Du mußt beachten, daß es keine organische Immunität hervorruft. Die menschliche DNS wird davon nicht gegen Mutagene gefeit. Vielmehr handelt es sich im Prinzip um eine gentechnisch erzeugte Mikrobe, die als eine Art von Bindemittel fungiert. Sie fixiert sich an den Nukleotiden des Mutagens und neutralisiert sie. Dann scheidet der Körper beide als Abfallprodukt aus. Natürlich wäre es normalerweise sinnlos, das Immunitätsserum zu nehmen, nachdem ein Mutagen injiziert wurde. Der Grund ist die Sofortwirksamkeit der Amnion-Mutagene. Aber wenn dieses Mutagen vorerst passiv bleibt, dürfte unser Antimutagen eine gute Aussicht haben, mit ihm fertig zu werden.«
Morn schob ihn zum Ausgang. »Am besten beeilst du dich«, drängte sie ihn. »Diskutieren können wir darüber ein anderes Mal.«
Vector nickte. Trotzdem wartete er noch lange genug, um Mikka die Gelegenheit zu weiteren Fragen oder Einwänden zuzugestehen.
Mikka biß sich auf die Lippe und krallte die Finger in die Beine der Bordmontur, um sich zum Schweigen zu zwingen.
Vector neigte den Kopf, als wollte er sich verneigen. Die Geste erweckte einen seltsam förmlichen Eindruck, war anscheinend ein Zeichen des Respekts. Im darauffolgenden Moment vollführte er einen eleganten Satz zur Tür und schwebte zur Kabine hinaus.
Unverzüglich stieß Mikka sich von der Wand ab, schwang sich zu Ciro in die Koje. Diesmal erwiderte er, als sie ihn umfing, ihre Umarmung.
»Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Ich wollte nicht so hart zu dir sein. Ich habe bloß derartig schreckliche Sorge um dich, daß es mich schier wahnsinnig macht.«
Stumm nickte Ciro und drückte sich fester an sie.
»Ich gehe zurück auf die Brücke«, kündete Morn an. Ihre Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. »Die anderen müssen erfahren, was los ist.« Sie meinte Sib, Davies und Angus. »Und vielleicht ist Angus auch eine Hilfe. In seinen VMKP-Datenspeichern könnte sich irgend etwas Aufschlußreiches finden lassen.«
Der Kopfverband behinderte Mikkas Sicht. Sie gab keine Antwort. Es beanspruchte sie zu sehr, ihren Bruder in den Armen zu halten.
DARRIN
Tief im Innenbereich des Asteroidenschwarms, der Deaner Beckmanns Schwarzlabor als Schutz diente, saß Darrin Scroyle an seiner Kommandokonsole und beobachtete drei Crewmitglieder der Freistaat Eden bei der Arbeit. Sie hatten Externaktivitäten aufgenommen, befanden sich jedoch so nah am Raumschiff, daß die Scheinwerfer und Außenbordkameras sie
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