Amnion 4: Chaos und Ordnung
bevor er sie Ihnen ausgeliefert hatte. Folglich hatte er Zeit, um die Codes zu ändern. Aber auch das hieße, daß Morn Hyland und Succorso zusammenarbeiten. Weshalb sollte sie ihm so ein Geheimnis ausplaudern, obwohl er die Absicht hatte, sie Ihnen zu opfern? Und wie kann sie noch Mensch sein, wenn sie nicht von ihm mit irgendeinem Immunitätsmedikament versorgt worden ist…?«
Nun hinterblickte Sorus, welchen Zweck das durch Nick Succorso ausgestreute Gerücht gehabt hatte, sie selbst verfügte über ein derartiges Mittel. Wäre Kassafort nicht vernichtet worden, hätte weder der Kassierer noch irgend jemand anderes auf dem Planetoiden sie je wieder in Ruhe gelassen, ja wahrscheinlich nicht einmal am Leben. Die Folgen der von Succorso verbreiteten Lüge hätten sie hinaus ins All getrieben, und dort wäre er über sie hergefallen.
»Also war die ganze Sache so oder so eine List«, lautete ihre letztendliche Schlußfolgerung. »Ich bin mir völlig darüber im unklaren, was die beiden von Ihnen wollten, aber jedenfalls haben sie sich verdrückt. Warum hat die Stiller Horizont dagegen nichts unternommen? Weshalb hat sie die Posaune, solange noch ’ne Gelegenheit bestand, nicht zusammengeschossen?«
Milos Taverner wandte sich an Sorus, als befänden er und sie sich allein auf der Brücke. Unter dem Bann seiner Aufmerksamkeit schien ihr Blick regelrecht von ihm angezogen zu werden. »Sie stellen eine wichtige Frage, Kapitänin Chatelaine.« Seine weniger als bei Vestabule mutierten Stimmbänder verliehen seinen Worten einen fremden, eher geisterhaften als menschlichen Klang. »Daraus ergibt sich eine zweite Frage, deren Beantwortung bei Ihnen liegt. Als die List aufflog, die Käptens Liebchen plötzlich gegen die Instruktionen der Amnion handelte, warum ist da das Raumschiff nicht von Ihnen ›zusammengeschossen‹ worden? Es lag in Ihrer Macht, Friedliche Hegemonie vor der Eliminierung zu bewahren. Aber Sie haben nichts dergleichen getan. Sie kritisieren unsere Passivität. Müssen nicht wir auch Ihre Passivität kritisieren?«
Sorus bemerkte die Drohung: sie ließ sich greifbar spüren, als ob sich in der Luft Statik ballte. Unvermittelt unterdrückte sie ihren Ärger. Sie konnte ihn sich momentan nicht leisten. Statt dessen verheimlichte sie ihre Furcht hinter einer Maske spöttischer Selbstsicherheit; der Maske, die sie stets während ihrer Aufenthalte beim Kassierer getragen hatte.
Um zu verhehlen, daß sie erst eine innere Kehrtwendung vollziehen mußte, senkte Sorus den Blick auf ihre Konsolentastatur, vervollständigte die Befehlssequenzen, deren es bedurfte, um die Bordrotation wiederherzustellen. Sofort hörte man auf der Brücke das nahezu unterschwellige Surren der Servovorrichtungen und Motoren. Unter Sorus bewegte sich das Deck. Geschmeidig wie Öl begann die Sturmvogel Zentrifugalkraft zu erzeugen. Das vertraute Gefühl des eigenen Gewichts senkte sich in Sorus’ Muskulatur. Vestabule und Taverner konnten ihre verkrampfte Haltung lockern.
»Alle Anzeigen grün«, meldete der Datensysteme-Hauptoperator. »Sensoren verzeichnen keine Friktion, keine Vibrationen. Sieht so aus, als ob die Bordrotation korrekt abläuft.«
»Kann das bestätigt werden?« fragte Sorus die Scanning-Hauptoperatorin.
»Nein«, lautete die Auskunft. »Noch nicht. Ich bin sicher, wir sind weit und breit das einzige Schiff. Der ganze Scheißplanetoid ist im Arsch, und alles andere auch. Aber die Instrumente reichen momentan nicht weit genug, um irgendeinen Fixpunkt exakt messen zu können. Kann sein, wir haben Instrumentenstörungen, vielleicht auch nicht.«
Sorus verbarg ihre Erleichterung. »Ich hatte gar keine Wahl«, sagte sie hämisch zu Taverner. »Das wissen Sie doch selbst. Ich konnte die Käptens Liebchen nicht angreifen, weil ich damit beschäftigt war, Sie zu retten. Einmal ist sie von uns getroffen worden, und zwar schwer genug, so daß wir von ihrem baldigen Untergang ausgehen konnten. Danach hatte ich alle Hände voll zu tun, um Ihr Shuttle zu bergen, ohne Sie in G-geplättete Fladen zu verwandeln. Ich mußte Sie vorsichtig einholen. Hätte ich’s anders gemacht oder mich nicht um Sie gekümmert und auf die Käptens Liebchen konzentriert, wären Sie jetzt wahrscheinlich tot.«
Widersprich mir, dachte sie, während sie ihm ins Gesicht lächelte, und du kannst mich mal.
»Genau, Kapitänin Chatelaine.« Taverner hatte genügend Menschenähnlichkeit beibehalten, um das Lächeln zu erwidern. »Sie haben die
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