Amnion 4: Chaos und Ordnung
einmal so eilig sein? Wir können sie nicht mehr aufhalten. Wozu also die Hast?«
Vestabules menschliches Augenlid flatterte wie eine Signalflagge, doch er hielt Sorus’ Blick stand. »Das Amnion-Scanning ist noch nicht wieder zur vollen Funktionstüchtigkeit gebracht worden«, teilte er ihr mit. »Daher liegen nur ungenaue Daten vor. Sie werden jedoch binnen kurzem präzisiert. Zur Zeit sind, obwohl das Partikelbombardement Ihre Ortungsinstrumente blendet, die charakteristischen physikalischen Rückstände meßbar, die verbleiben, wenn ein Raumschiff ›in die Tach überwechselt‹.« Er sprach die menschliche Redewendung recht unbeholfen aus. »Indem die Distorsionen abebben, wird Stiller Horizont dazu imstande sein, den Vektor des Hyperspatiumsprungs der Posaune zu bestimmen. Geschwindigkeit und Beschleunigung lassen sich anhand vorheriger Daten errechnen. Nach dem, was über den Ponton-Antrieb bekannt ist, ermöglichen die Parameter damit ausgestatteter Raumschiffe es uns, sowohl Richtung wie auch Weite der Hyperspatium-Durchquerung zu extrapolieren. Die Ergebnisse werden Annäherungswerte sein, aber sie dürften es erlauben, die Verfolgung aufzunehmen.«
Da hatte sie es. Verfolgung. Sie hatte vorausgesehen, daß es soweit kommen würde, und doch war es ihr zuwider, das Wort ausgesprochen zu hören. Verfolgung eines VMKP-Raumschiffs, das einen VMKP-Auftrag ausführte, in den Human-Kosmos, wo ohne Zweifel ein halbes Dutzend Kriegsschiffe sich bereithielten, um ihm Belästigungen vom Hals zu schaffen.
»Was, Verfolgung durch uns und die Stiller Horizont?« fragte sie in bitterbösem Tonfall, nicht weil sie erwartete, daß Vestabule und Taverner auf sie hörten, sondern einfach, weil es sie drängte, die Bürde der Sterblichkeit anzuerkennen, die ihr an den Knochen lastete. »Haben Sie eigentlich an die Möglichkeit gedacht, daß die edle, gerechte VMKP darin eine kriegerische Handlung sehen könnte? An die Möglichkeit, daß der gegenwärtige Friedenszustand für Sie nützlicher als für die Gegenseite ist und daß es äußerst ungünstige Folgen für Sie haben dürfte, wenn Sie den Frieden brechen?«
Taverner schüttelte vorsichtig den Kopf, als wäre die Bewegung in seinem Gedächtnis noch enthalten, ihm jedoch mittlerweile unbegreiflich geworden. Aber es war Vestabule, der Sorus Antwort gab.
»Erneut sprechen Sie über eine Gabelung zwischen Vielleicht und Vielleicht nicht. An dieser Verzweigung sind wir noch nicht angelangt. Stiller Horizont bleibt im Amnion-Kosmos. Sie werden die Posaune verfolgen. Sie haben den Auftrag, das Schiff zu kapern und die an Bord befindlichen Personen gefangenzunehmen, falls dies Ziel verwirklicht werden kann. Andernfalls ist es Ihre Aufgabe, sie zu eliminieren. Stiller Horizont wird nur zu Ihrer Unterstützung eingreifen, wenn es unumgänglich notwendig ist. Kommt die umschriebene Entscheidungssituation zustande, werden wir eher das Risiko eines Krieges tragen, als ein Entkommen der Posaune zu dulden.«
Während seiner Äußerungen krampfte Übelkeit Sorus den Magen zusammen. Eine kriegerische Handlung… und die Sturmvogel mitten im Schlamassel. Für so etwas fühlte sich Sorus zu alt; für so etwas, hatte sie das Empfinden, war sie schon zu alt geboren worden.
»Verdammt noch mal, von hier aus brauchen Sie Tage zur Rücksprache mit der Geist-Gemeinschaft«, wandte sie ein, obgleich sie wußte, alle Einwände blieben fruchtlos. »Wie können Sie so ein Risiko auf die eigene Kappe nehmen? Woher wollen Sie wissen, ob die Geist-Gemeinschaft Ihre Strategie billigt?«
Dem seitens Vestabule bekanntgegebenen Entschluß ließen sich gewisse Aspekte menschlicher Schwäche anmerken, ein Anklang der Verzweiflung. War es denkbar, überlegte Sorus, daß die Abstammung solcher Kreaturen wie Vestabule und Taverner den amnionischen Entscheidungsprozeß beeinflußte, ihm ein Element der Furchtsamkeit untermischte, das ihnen selbst nicht auffiel?
Ob diese Spekulation etwas an sich hatte oder nicht, es verursachte Vestabule keine Verlegenheit, auf ihre Fragen einzugehen. »Wir sind Amnion«, konstatierte er. »Und wir müssen handeln. Das ist notwendig. Die Gefährlichkeit des Nichthandelns überwiegt die des Handelns. ›Billigung‹ ist keine Konzeption« – stellte er klar –, »die im Verhältnis zur Geist-Gemeinschaft irgendeine Relevanz hat.«
Er wandte sich Sorus zu. »Auch Sie müssen handeln. Ich wiederhole es nicht noch einmal. Nehmen Sie auf dem Kurs und mit der
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