Amnion 4: Chaos und Ordnung
ausreichende Geschwindigkeit erlangen, um eine doppelt so weite wie die letzte Hyperspatium-Durchquerung zustande zu bringen. Möglicherweise war das es, worauf’s Angus ankam.«
»Also war’s vernünftig.« Die Stärke seines Wunschs, Angus Vertrauen zu schenken, bestürzte sogar Davies selbst. »Hier hinzufliegen war sinnvoll.«
Mikka zögerte nicht, ihm zu widersprechen. »Nur wenn man davon ausgeht, daß es sinnlos gewesen wäre, in die Gegenrichtung zu fliegen.« Ihre Haltung – die Weise, wie sie die Hüfte nach vom schob, die Arme verschränkte – verriet unbewußte Aggressivität. »Statt diese Position anzufliegen, hätten wir drei Lichtjahre weit in den Human-Kosmos springen können. Kann sein, daß wir hier in Sicherheit sind. Aber dort wären wir sicherer. Zumal wenn man glaubt, was wir gehört haben, daß nämlich Angus für die Polente arbeitet. In dem Fall hält sich vermutlich längst ’ne komplette Flotte bereit, um uns in Empfang zu nehmen und gegen Verfolger zu verteidigen.«
»Und das heißt?« fragte Vector; nicht als hätte er Mikka nicht verstanden, sondern als wollte er alles ganz deutlich ausgesprochen haben.
»Entweder arbeitet er doch nicht für die Astro-Schnäpper«, antwortete Mikka, »oder wir kapieren noch immer nicht im mindesten, was überhaupt los ist.«
Geringschätzig schnaubte Nick, bewahrte jedoch Schweigen.
»Aber das ist doch Unfug«, entgegnete Sib. »Er muß für die Polizei tätig sein. Wie soll er sonst an so ein Raumschiff gelangt sein? Wie anders hätte er ausgerechnet in dem Moment aufkreuzen können, als wir ihn brauchten?« In seiner Erregung vergaß er Nick, wandte sich an Morn und Davies. »Weshalb hat er euch befreit? Schließlich ist es niemand anderes als Angus Thermopyle, mit dem wir’s zu tun haben. Selbst wenn er nicht das Verbrechen begangen hat, das ihm von uns angehängt worden ist, auf alle Fälle ist er ’n Mörder und Vergewaltiger, das wissen wir doch alle. Das Ganze ergibt keinen Sinn, außer er hat mit den Polypen ’ne Abmachung getroffen, um zu vermeiden, daß er hingerichtet wird.«
»Sib«, warnte Mikka ihn, »gib acht!«
Betroffen schluckte Sib und heftete den Blick wieder auf Succorso.
Nick hatte sich nicht geregt.
Einen Moment lang betrachtete Morn noch die stellarkartografische Darstellung, dann wandte sie sich ab. »Eigentlich ist es einerlei«, meinte sie schließlich. »Vielleicht ist er ’n Handel eingegangen und hat sich später nicht mehr daran gehalten. Oder vielleicht haben er und… Wie hieß der andere Kerl, Milos Taverner? Es ist möglich, sie haben das Schiff wirklich gekapert und sind darum auf der Flucht.« Sie sah Mikka an, danach Vector, schließlich Davies. »Es kann sein, Korruption bei der VMKP spielt eine Rolle, zum Beispiel, daß man Intertechs Antimutagen-Forschungen an sich gerissen und die Resultate unterschlagen hat.« In ihrer Stimme klang Zorn an, konnte sie allerdings nicht ablenken. »Nichts davon ist erheblich. Wir sind hier. Wir müssen uns mit der Situation befassen, so wie sie ist. Und wenn wir das anstreben, sollten wir uns besser vorher überlegen, was wir wollen. Und wir sollten uns einig sein. Wir sind zu viele. Wenn wir nicht zusammenhalten, hilft alles nichts. Darüber müssen wir diskutieren. Angus soll sich selbst um sich kümmern.«
Auf der Brücke entstand Schweigen. Für mehrere Sekunden hörte man nichts als gedämpfte Atemzüge und das leise Summen der elektronischen Gerätschaften der Posaune.
Davies durchschaute Morns Zustand vollkommen: was Selbstsicherheit zu sein schien, beruhte in Wirklichkeit auf Ausgelaugtheit und einem Gespür für absolute Notwendigkeit. Ihre Bereitschaft, soviel auf sich zu nehmen, erstaunte ihn.
Er hätte gerne geglaubt, auch dazu fähig zu sein.
»Bildest du dir etwa ein«, nölte Nick spöttisch, »du bringst ihn soweit, daß er sich nach deinen Wünschen richtet? Viel Glück.«
Sofort ergriff Sib überstürzt das Wort. »Du kannst entscheiden«, sagte er zu Morn. »Laß mich damit in Ruhe. Irgendwohin zu entwischen, anstatt auf der Käptens Liebchen zu krepieren oder in Kassafort festzusitzen, war das, um was es mir ging.« Er schaute Mikka an, als wollte er sich entschuldigen. »Ich habe nie richtig zu jemandem wie ihm gepaßt.« Er wies auf Nick. »Mir hat nie gefallen, was wir machten, es gefiel mir schon nicht, ehe er Menschen an die Amnion verkaufte. Von da an habe ich mir immer gewünscht, irgendwer könnte mir genügend Mumm einflößen,
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