Amnion 4: Chaos und Ordnung
überlassen.«
Darauf hatte der Kassierer mit der Enthüllung geantwortet, Nick hätte soeben Morn den Amnion ausgeliefert. Und da hatte Davies seinen Meisterstreich verübt; ihm seine gelungenste Lüge aufgebunden.
»Ich habe ihm gesagt, daß du und Nick ein Immunitätsmedikament hättet.«
Morn machte große Augen. »Das hast du dir gedacht?«
Wortlos nickte Davies.
Im nächsten Moment milderte ein mattes Lächeln Morns Erscheinung. »Du bist tüchtig. Ich bin auch stolz auf dich.«
Davies erwiderte ihr Lächeln. Ihr Lob beschwichtigte wenigstens seine ärgsten Befürchtungen.
Kurz schloß Morn die Augen; vielleicht genoß sie die Schlichtheit seiner Reaktionen. Als sie ihn wieder anschaute, war ihr Lächeln verflogen. Aber ihr Blick war nicht mehr so stumpf. Allmählich klärten sich auch die Fragen, die sie beschäftigten.
»Ich glaube, wohler wird’s mir vorerst nicht«, meinte sie halblaut. »Laß uns gehen. Ich möchte wissen, wo wir stecken.«
Auch Davies fühlte sich bereit zum Gehen, entschlossener als noch vor wenigen Augenblicken. Er bot Morn den Arm. Sie nahm an, stützte sich dankbar an Davies, während er den Türöffner betätigte.
DAVIES
Gemeinsam strebten sie zum Niedergang und stiegen hinab zur Brücke.
Auf den ersten Blick sah Davies, daß alle anwesend waren außer Angus. Nick lag unter den Sichtschirmen auf dem Deck, den Kopf auf die Hände gelegt, als ob ihn das Stehen völlig überforderte. Schläfe und Ohr quollen ihm auf durch eine rote Schwellung; in wenigen Stunden mußte sie der bläulichen Prellung an seiner Stirn ähneln.
Zwei, drei Meter von ihm entfernt lehnte ein Schraubenschlüssel am Schott. Geronnenes Blut verkrustete das eine Ende des Werkzeugs.
Blut klebte auch an der linken Seite der Kommandokonsole. Blut rötete das Deck.
In Angus’ Kommandosessel saß Mikka. Sib hatte auf dem Sitz des Ersten Offiziers Platz genommen; er stützte die Unterarme auf die Konsole, damit er die Waffe auf Nick gerichtet halten konnte, ohne zu ermüden. Vector Shaheed und Ciro, Mikkas jüngerer Bruder, standen mitten auf der Brücke. Der Techniker besah sich eine Auxiliarkommandokonsole, die er neben einem der großen Sichtschirme entdeckt hatte. Ciro hatte sich anscheinend schon in seine neue Rolle als Bordsteward der Posaune gefügt; er reichte ein mit Sandwiches, Kaffee und Hype beladenes Tablett herum.
Alle drehten sich um, als sie Davies und Morn die Konnexblende kommen hörten. Sibs Miene spiegelte Besorgnis wider, doch Vector grinste plötzlich freudig. Mikkas gewohnheitsmäßig finsterer Gesichtsausdruck entkrampfte sich ein wenig, ohne daß ihr alteingesessener Grimm seine Herrschaft über ihr Mienenspiel verlor. Nur Nick beschränkte alle Beachtung auf sich selbst. Abgesehen von der Weise, wie unter den narbigen Wangen seine Zähne mahlten, wirkte er sogar regelrecht entspannt und mit sich beschäftigt, geradeso als wäre er allein.
»Morn, du solltest lieber noch nicht aufstehen«, mahnte Sib Mackern. »Du brauchst…«
»Mach dir über was anderes Gedanken, Sib«, unterbrach Mikka ihn reichlich schroff. »Sie weiß, was sie zu tun und zu lassen hat.«
Deutlich erinnerte sich Davies an eben den Moment, als Mikka von Morn ins Vorhandensein ihres Zonenimplantats eingeweiht worden war. Er fühlte einen Nachklang der krassen Einsamkeit, die Morn zu diesem Wagnis getrieben hatte.
»So übermütig würde ich mich nicht ausdrücken«, meinte Morn mit lascher Stimme, nachdem sie und Davies den Niedergang heruntergestiegen waren. Sie nahm die Hand von Davies’ Arm und winkte in Ciros Richtung. »Momentan weiß ich bloß, daß ich Hunger habe.«
Hilfsbereit eilte Ciro mit dem Tablett zu ihr.
»Danke.« Sie schluckte eine Hypekapsel – umgangssprachlich ›Industriekoffein‹ genannt –, dann griff sie sich ein Sandwich und füllte sich einen Becher mit Kaffee.
Sämtliche Anwesenden außer Nick beobachteten sie, während sie die Kapsel hinabwürgte, in das Sandwich biß, vom Kaffee trank; alle wollten sie hören, was sie zu sagen hatte, was sie anzufangen beabsichtigte.
»Wo ist Angus?« erkundigte sie sich zwischen zwei Bissen in neutralem Tonfall.
»Wohin er geht, hat er nicht erwähnt.« Mikkas Antwort fiel so herb aus, wie sie dreinschaute. »Er hat nur rumgemault, er wollte in Ruhe gelassen werden. ›Für ein Weilchen‹, hat er gesagt.«
»Wahrscheinlich ist er im Krankenrevier«, mischte Nick sich ungefragt ein. Wie eine Zuckung bleckte ein Grinsen
Weitere Kostenlose Bücher