Amnion 4: Chaos und Ordnung
ich konnte es nicht glauben, bevor ich deine Stimme hörte… Dann hast du den Raumhelm abgenommen, und ich konnte sehen, daß du Prügel gekriegt hast. Ich dachte, Angus war’s gewesen. Aber du sagst, er war’s nicht…?«
Insgeheim entsann sich Davies an das eine Mal, als sie es nicht über sich gebracht hatte, Angus’ Namen zu nennen. Irgendwann im Verlauf ihrer Gefangenschaft und der späteren Befreiung hatte sich ihr Bild seines Vaters einer feinen Abwandlung unterzogen.
»Und wer war’s?«
»Nick«, antwortete Davies rauh. Aber er schuldete ihr die volle Wahrheit. »Ich habe angefangen«, fügte er hinzu. »Ich mußte irgendwie verhindern, daß er das Raumschiff verläßt. Angus merkte nicht, daß er log, aber ich wußte es. Ihm war nicht klar, daß Nick dich längst an die Amnion verschachert hatte.«
Morn biß sich auf die Lippe, nickte nochmals mit wackligem Kopf. »Jetzt verstehe ich… Und du hast dich daran erinnert, was er mit mir angestellt hat. Du weißt über alles Bescheid. Darum wolltest du ihn aussperren. Aber mir ist noch etwas aufgefallen. Nachdem du den EA-Anzug ausgezogen hattest, bist du auf die Brücke gegangen, und da habe ich etwas beobachtet…« Sie senkte den Blick; als sie ihn wieder in sein Gesicht hob, lief der Ausdruck ihrer Augen hinaus auf eine Bitte. »Du hast so stolz ausgesehen. Ich kann mich gar nicht mehr entsinnen« ihr verengte sich die Kehle –, »was für ein Gefühl das ist. Worauf bist du stolz gewesen? Was hast du zustandegebracht?«
Stolz? dachte Davies. Der von Morn angesprochene Moment war derartig kurz, alles Nachfolgende so dringlich gewesen, daß er sich kaum noch darauf besann. Stolz?
Da fiel es ihm wieder ein.
»Es ist schwierig zu erklären… Ich war Gefangener des Kassierers. Ein paarmal hat er mit mir geredet, mich ausgefragt… Er wollte herausfinden, was ich wüßte, um entscheiden zu können, wem er mich verkaufen sollte. Aber ich wußte ja überhaupt nichts… Außer daß es mein Ende wäre, sobald er zu einem Entschluß kam. Also habe ich ihm Lügen aufgetischt. Ich habe mir Geschichten ausgedacht über dich und Nick –, um ihn zu verunsichern.«
Voller Unbehagen zuckte Davies die Achseln. »Und es hat geklappt. Die Wahrheit kannte ich nicht, es ist mir aber gelungen, ihm Lügen weiszumachen, die ihr so nahe kamen, daß er nicht ohne weiteres darüber hinweggehen konnte. Und hätte ich das nicht geschafft, wäre ich bald außer eurer Reichweite gewesen. Der Kassierer hätte mich verkauft, und Angus war’s unmöglich gewesen, mich zu befreien. Irgendwie habe ich mich also selber gerettet. Und als ich schließlich die Tatsachen erfuhr, als ich sah, wie gut sich meine Lügen bewährt hatten, war das ein tolles Gefühl…«
Doch das war nicht die ganze Wahrheit. Er verschwieg den Rest: Und ich bin stolz auf Angus. Wenn ich nicht an dich denke, nicht an seine Schandtaten, nicht daran, wer er ist, bin ich auf seine Leistungen stolz. Er ist mein Vater. Und er ist ein Übermensch.
Diese Gefühlseinstellung erregte den Eindruck derartiger Abwegigkeit und Unrechtfertigbarkeit, daß Davies sich nicht durchringen konnte, sie laut auszusprechen.
Morn blinzelte, als kämpfte sie mit neuen Tränen. »Welche Lügen?«
Die diesbezüglichen Erinnerungen schmerzten Davies nicht mehr als alles andere in seinem Gedächtnis. »Das erste Mal habe ich ihm aufgeschwatzt«, antwortete er, »du und Nick, ihr arbeitetet zusammen. Für die Polizei. Dadurch wollte ich verhindern, daß er mich zu Nick zurückschickt. Und ihm einreden, ich hätte großen Wert… Um ihm einen Grund zu geben, mich weiter in seiner Gefangenschaft zu behalten und nicht den Amnion zu überstellen.«
Mit anderen Worten, hatte der Kassierer ihm entgegnet, unser teurer Kapitän Succorso hätte die ebenso kolossale wie gedankenlose Frechheit gehabt, die Amnion in einer ihrer eigenen Raumstationen zu bescheißen.
Das ist noch nicht alles, hatte die Frau in seiner Begleitung angemerkt; inzwischen vermutete Davies, sie war Sorus Chatelaine gewesen. Er sagt, Succorso hätte etwas so Kostbares zu bieten gehabt, daß die Amnion als Gegenleistung dafür zur Durchführung eines Schnellwachstumsverfahrens bereit gewesen seien. Und dann hätte er sie betrogen, indem er es ihnen nicht gegeben hat.
»Das zweite Mal war’s komplizierter. Ich mußte ihn zu der Ansicht verleiten, es drehte sich alles um etwas derartig Hochwichtiges, daß er es sich nicht erlauben könnte, mich irgend jemand anderem zu
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