Amnion 5: Heute sterben alle Götter
selbst sähe. Davies nahm einen langgedehnten, zitternden Atemzug. Ganz langsam straffte er sich; sobald er wieder den Kopf drehen konnte, machte er sich die Mühe, Vector und Mikka zuzunicken. »Es geht mir gut.« Zwar hörte er die eigene Stimme kaum, aber wenigstens hatte er die Fähigkeit zu Sprechen zurückerlangt. »Auf Kat kann ich verzichten. Ich bin nur…« Worte genügten nicht, um zu vermitteln, was er sagen wollte. Ich bin nicht Morn. Das ist eine hochwichtige Tatsache. »Ich muß nichts als schlafen.«
Einen Moment lang musterte Vector ihn, ehe er den Blick erst auf den Injektor in seiner Hand senkte und anschließend mit einem Ausdruck stummer Fragestellung auf Mikka heftete.
»Frag bloß nicht mich, was geschehen soll«, wich sie lasch aus. Fest preßte sie den Handballen überm Kopfverband auf Auge und Schläfe. Vielleicht glaubte sie, dadurch die Beschwerden ihrer Verletzungen mindern zu können. »Alle brauchen wir Schlaf. Wenn er kein Kat will, soll er von mir aus pennen.«
Vector nickte bedächtig.
»Ich lege mich auch hin«, fügte Mikka hinzu. Ihre Ausgelaugtheit war deutlich spürbar. »Das heißt, sobald ich mich vergewissert habe, daß Ciro nicht völlig ausgerastet ist.« Ihre Stimme bekam einen trotzigen Unterton. »Es spricht ja eigentlich nichts dagegen, daß wir uns nun Ruhe gönnen. Wir haben nichts besseres zu tun, bis Angus aufwacht.«
Sabotiert hatte ihr Bruder die Antriebe, aber anscheinend fühlte sie sich dafür verantwortlich.
»Wahrscheinlich hast du recht«, antwortete Vector, als wäre er der Meinung, sie bedürfte seiner Zustimmung. »Also geh.« Er zeigte auf die Computerkonsole hinter seinem Rücken. »Ich möchte bloß noch ’n paar Tests ausführen, um mich davon zu überzeugen, daß mit ihm alles in Ordnung ist.« Mikka nickte; wandte sich zum Ausgang. Dann verharrte sie und legte die Hand auf Davies’ Arm.
»Danke«, raunte Mikka. Als sie ihn anblickte, erkannte er in ihrem unversehrten Auge nichts als Trauer. »Solang Angus handlungsfähig ist, haben wir eine Chance. Ich bin nicht sicher, ob ich mit dem, was Ciro angestellt hat, hätte fertigwerden können, hättest du Angus’ Stasis nicht beendet.«
Grob öffnete sie die Tür und verließ das Krankenrevier.
Sobald sie fort war, warf Vector den Injektor in den Müllschlucker des Krankenreviers. Mit einem Schwenk der Hüfte brachte er sich näher an die Computerkonsole. Doch er wandte den Blick nicht von Davies.
Eine Chance, wiederholte Davies in Gedanken. Noch vor kurzem war er völlig auf sich gestellt gewesen: allein auf der Brücke; allein mit seinem Versagen. Aber jetzt hatte er seinen Vater gerettet. Falls nun auch noch Morn von dort zurückkehrte, wohin das Hyperspatium-Syndrom und ihr gebrochener Arm sie fortgerissen hatten, bestand für ihn vielleicht eine Aussicht.
Mit einem Ruck drehte er sich um, damit Vector nicht die Tränen in seinen Augen sah.
Vector räusperte sich. »Du bist noch Heranwachsender«, machte er eine für Davies’ Empfinden ziemlich obskure Bemerkung. »Du solltest mal ’ne Pause einlegen. Ich komme hier schon zurecht. Tu, was Mikka rät, geh ins Bett.«
Sicherlich. Ins Bett.
Indem er dem Genetiker den Rücken zugekehrt hielt, stieß Davies sich von der Liege ab und schwang sich hinaus in den Mittschiffskorridor der Posaune.
Nässe trübte seine Sicht. Er konnte kaum erkennen, wohin er schwebte.
Kaum hatte sich die Tür des Krankenreviers hinter ihm geschlossen, grapschte er nach einem Haltegriff und stoppte seine Bewegung. Tatsächlich benötigte er dringender als alles andere Schlaf. Dennoch widerstrebte es ihm, sich in seine Kabine zu verdrücken. Zuviel hatte er in letzter Zeit durchgestanden. Noch spürte er von dem heftigen Krampfanfall ein schmerzhaftes Ziehen im Rücken und in den Gliedmaßen. Fand er Morn im Schlaf vor, hatte er neuen Anlaß zur Sorge. Und traf er sie wach an, mußte er sich vor ihr fürchten: vor dem, was aus ihr geworden sein mochte, vor ihrer Fähigkeit, ihm das Herz zu durchbohren.
Sie hatte für einen kurzen Moment das Bewußtsein wiedererlangt gehabt, bevor es der Posaune gelungen war, dem Schwerkraftschlund des Schwarzen Lochs zu entfliehen. Noch einmal bringe ich so was nicht über mich, hatte sie zu ihm gesagt. Wenn ich in Schwierigkeiten stecke, fällt mir nie etwas anderes ein, als mir weh zu tun… Sie hatte sich von der Singularität den rechten Arm brechen lassen. Selbstzerstörung… Irgendwann muß ich mir mal was
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