Amnion 5: Heute sterben alle Götter
näher denn je an der Erfüllung deines Wunsches.«
Vector lächelte. »Ich weiß.«
Morn ließ sich durch nichts beirren. »Sollte es die Rächer sein, die uns nachfliegt«, sagte sie, »dürfen wir wahrscheinlich, falls Min Donner noch eine ehrliche Polizistin ist, auf den Data-Nukleus des Kreuzers bauen. Unsere Funksendung wird aufgezeichnet. Irgendwann gelangt sie jemandem zur Kenntnis, und das Wissen um die Formel breitet sich aus, selbst wenn wir hier mitten im leeren All den Tod finden.«
Als nächstes wandte sie sich an Mikka.
»Zweitens will ich dich und Ciro vor dem pauschalen Gerechtigkeitsstreben irgendwelcher engstirniger Astro-Polizisten schützen. Die VMKP muß unbedingt erfahren, was ihr wißt, jedenfalls alles, wenn sonst nichts, über die Hoch-G-Beschleunigungsexperimente der Amnion. Wahrscheinlich sollte es auch zur Kenntnis des EKRK gelangen. Und alle müssen sich anhören, was ich über euch auszusagen habe. Mag sein, ich habe selbst ein, zwei Schandtaten begangen, aber ich bin noch immer Polizistin. Die VMKP und das EKRK sollen wissen, was ihr« – wortgetreu zitierte sie die offizielle Redewendung – »›zur Unterstützung eines Polizisten beziehungsweise einer Polizistin im Amt bei der Ausübung seiner oder ihrer dienstlichen Pflicht‹ unternommen habt.«
Anfangs zeigte Mikka keine Regung. Dann senkte sie langsam die Hände von der Computerkonsole. Anschließend kehrte sie den Kopf vollends, so daß Morn ihres heiles Auge so finster wie das Auge einer Sibylle herüberblicken sah.
»Das würdest du tun?« fragte Mikka mit gepreßter Stimme. »Eine Polizistin wie du? Wenn du die Gelegenheit hättest? Obwohl, wie du uns vorhin erklärt hast, die Polizei nicht Grenzen und Umfang ihrer Verantwortlichkeiten manipulieren dürfte?«
Während Mikka ihre Fragen äußerte, durchschoß Morn eine neue Woge der Pein. Von der Schulter bis zum Handgelenk schien geschmolzenes Eisen ihren Arm zu durchglühen. Für einen Augenblick verlor sie die Selbstbeherrschung, stolperte unversehens in einen Abgrund der Qual und finsterer Erbitterung. Versucht es doch wenigstens mit mir! hätte sie am liebsten geschrien. Versucht es! Glaubst du, ich lüge? Bildest du dir ein, ich hätte das alles durchgestanden, nur um euch jetzt Quatsch aufzutischen?
Doch Vector antwortete bereits an Mikkas Stelle.
»Laß das, Mikka«, rief er mit ungewohntem Nachdruck. »Du hörst Morn ja gar nicht richtig zu. Morn kann nicht zu unseren Gunsten aussagen, ohne als erstes zu begründen, wieso sie sich überhaupt an Bord der Käptens Liebchen befand. Hättest du die Ohren gespitzt, wüßtest du, was das heißt.« Er stockte und sprach dann ruhiger. »Letzten Endes müßte sie eine Erklärung dazu abgeben, warum sie das Zonenimplantat-Kontrollgerät behalten hat.« Weshalb sie, indem sie das schwarze Kästchen von Angus entgegennahm, bei der Verschleierung eines Schwerverbrechens geholfen hatte. Warum sie das Verbrechen verübt hatte, ein Zonenimplantat bei sich selbst anzuwenden.
Nun wandte Vector sich an Morn. »Bist du sicher, daß das eine bessere Lösung ist?« Mit einem Seufzen verschaffte er seiner Besorgnis Luft. »Für mich klingt das bloß nach zusätzlicher Selbstbestrafung. Läuft dein Vorschlag nicht darauf hinaus, dich selbst in schlechtes Licht zu rücken, damit wir anderen vorteilhafter dastehen?«
Die Schmerzwelle verebbte. Morns Kopf klärte sich so plötzlich, daß sie keuchte. Augenblicklich verschaffte sie sich neuen Halt.
Nun hatte sie es eilig. Sie mußte ihren Standpunkt auseinandergesetzt haben, bevor die nächste Schmerzaufwallung sie überkam.
Aber Mikka und Vector sprachen wichtige Fragen an; Fragen einer Art, die tiefer gingen als sämtliche Angelegenheiten, mit denen sich zu befassen sie sich vorbereitet hatte. So tief, wie sie von Angus’ Flehen berührt worden war, ihn von den Prioritätscodes zu befreien. Diese Fragen verdienten Antworten.
Anstatt hastig ihre Ausführungen bis zu dem Abschluß weiterzuformulieren, der es ihr erlaubt hätte, das Krankenrevier aufzusuchen, nahm sie die neue Herausforderung an.
»Sich an die Wahrheit zu halten, ist meines Erachtens nichts Selbstzerstörerisches«, stellte sie klar. »Und Recht hat keine Bedeutung, wenn es nicht auf Wahrheit beruht. Meine Aufgabe ist nicht die Rechtsprechung, sondern die Respektierung der Gesetze zu erzwingen. Das heißt, ich müßte euch verhaften, weil ich Anlaß zu dem Verdacht sehe, daß ihr das Gesetz gebrochen habt. Es
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