Amok: Thriller (German Edition)
Tür sich öffnete.
So musste Carl sich gefühlt haben, ging es ihm plötzlich auf. Das Schicksal des ganzen Dorfs in seiner Hand. Haus um Haus, jedes einzelne voller ahnungsloser Opfer. Das ließ das Motiv für das Massaker wieder in einem anderen Licht erscheinen. Vielleicht gab es ja gar kein Geheimnis zu lüften. Vielleicht hatte Carl es aus schierem Spaß an der Freude getan.
Dann drängte sich eine Beobachtung, die er gerade gemacht hatte, in seinen Gedankengang und ließ sich nicht wieder vertreiben. Es sind keine Lichter angegangen.
Er drehte sich einmal ganz im Kreis und überprüfte jedes Haus in Sichtweite, und als er an der Hurst Lane anlangte, formten seine Lippen sich zu einem triumphierenden Lächeln.
Das alte Schulhaus hatte noch vor ein paar Sekunden in völliger Dunkelheit gelegen. Jetzt brannte im Obergeschoss Licht.
Perfekt.
Wieder verstrichen einige Minuten. Craig versuchte entspannt zu wirken, legte den Kopf an die Stuhllehne und blickte sich mit halb geschlossenen Augen im Zimmer um. George lag noch immer am Boden, ein paar Schritte links von Craig. Er hatte lautlos zu weinen begonnen und tat nichts, um die Tränen aufzuhalten, die ihm über die Wangen rollten. Von Zeit zu Zeit bedachte Kendrick ihn mit einem angewiderten Blick.
Der vierte Mann im Zimmer, Moss, stand direkt hinter ihm, von Craig aus gesehen rechts. Immer noch wachsam und hochkonzentriert, ließ er die Hand mit der Waffe locker an seiner Seite baumeln.
Craig seufzte. Die Chancen standen nicht gut. Noch hatte er keine Anzeichen dafür erkennen können, dass Kendrick bewaffnet war, aber es war stark anzunehmen. Und so wartete er weiter, obwohl er wusste, dass es keine sehr kluge Strategie war. Zwei gegen zwei, das war weit aussichtsreicher als alles, was sie sich erhoffen könnten, wenn die anderen Männer wieder da wären.
Und wenn sie zurückkamen, ob mit oder ohne Toby, dann war das zweifellos das Ende.
Er beobachtete Kendrick. Zum ersten Mal stand ihm die Anspannung deutlich ins Gesicht geschrieben. In regelmäßigen Abständen spannten sich seine Kiefermuskeln an, und die Adern an seinen Schläfen zeichneten sich ab wie Wurmgänge auf einem Sandstrand. Seine Finger vollführten eifrig Trommelwirbel auf der Sofalehne.
Craig sann über die Fragen nach, die er ihm vor einer Weile gestellt hatte, und er überlegte, ob er noch weiter bohren sollte. Kendrick hatte praktisch zugegeben, dass er sich an Tobys und Vanessas Plan drangehängt hatte. Wäre er nicht gewesen, dann wären die einzigen Opfer am 19. Januar die Caplans gewesen. Stattdessen hatte Kendrick Carl dazu überredet, seinen Amoklauf fortzusetzen. Aber warum? Hatte er geglaubt, es würde ihm helfen, die Kontrolle über Georges Imperium zu erlangen?
Er wollte Kendrick gerade fragen, als dieser plötzlich aufsprang, wie auf ein unsichtbares Signal hin. Craig spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich und sein Magen sich vor Anspannung zusammenkrampfte.
Aber es passierte nichts. Kendrick ging ein paar Mal im Zimmer auf und ab und starrte grimmig aus dem Fenster, mit einer Miene, als hätte ihn die ganze Welt da draußen ihm Stich gelassen. Er zog sein Walkie-Talkie aus der Tasche und drückte die Ruftaste.
»Lloyd? Hörst du mich?«
Keine Antwort. Craig sah, wie Moss nervös von einem Fuß auf den anderen trat. Wahrscheinlich war er es nicht gewohnt, seinen Boss so ratlos zu sehen.
»Lloyd?«, rief Kendrick. »Melde dich. Was ist da los?«
Ein elektronisches Knarzen, und dann hörte Craig eine Stimme sagen: »Hier ist Parvez. Wir hatten einen Besucher. Er war ein bisschen begriffsstutzig, also musste ich ihn ausschalten.« Eine Pause. »Ein Bulle, wie‘s der Zufall will. Ein Detective Inspector Sullivan.«
»Mist«, sagte Kendrick halblaut. »Okay. Räumt den verdammten Baum beiseite und macht kehrt. Wir sind in zehn Minuten bei euch.«
»Klingt, als hätten Sie Ärger«, überspielte Craig die Angst, die er fühlte. Wäre der Name irgendeines anderen Polizeibeamten gefallen, hätte ihm das neuen Mut gegeben; er hätte es als ein Signal aufgefasst, dass Hilfe nahte. Aber Sullivan war mit ziemlicher Sicherheit aus privaten Motiven auf dem Weg hierher gewesen. Seine einzige Hoffnung war, dass Kendrick das vielleicht nicht wusste.
»Ihre Leute sind zur Vernunft gekommen und haben sich aus dem Staub gemacht«, fuhr er fort. »Warum folgen Sie nicht ihrem Beispiel?«
»Halten Sie den Mund«, herrschte Kendrick ihn an. Doch die höhnische Bemerkung
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