Amokspiel
Einsatzkräfte von der über Götz verhängten Ausgangssperre.
»Leoni ist sicher. Die GSG 9 schickt ihren besten Mann.« Als würde es ihn starke Überwindung kosten, hob er schließlich doch noch mal kurz den Kopf und warf Götz einen höhnischen Blick zu. »Vertrauen Sie mir.«
»Haben Sie sich schon mal überlegt, was mit Ihnen passiert, wenn das alles hier vorbei ist?« Ira beobachtete jeden seiner Gesichtsmuskeln. Wenn Jan dieser Gedanke beunruhigte, konnte er es gut verbergen. Als er keine Reaktion zeigte, gab sie ihm selbst die Antwort: »Auf Sie wartet das Gefängnis. Leoni ist keine Fee, die mit drei Wünschen im Handgepäck einfliegt. Es wird nicht alles wieder gut, nur weil Sie ihre Hand halten. Nichts wird wieder gut. Sie kommen ins Gefängnis, Jan. Auf Jahre von ihr getrennt. Im Endeffekt haben Sie gar nichts erreicht.«
»Blödsinn. Bis vor wenigen Stunden noch wurde sie offiziell für tot gehalten. Ich habe das Gegenteil bewiesen und eine Verschwörung aufgedeckt. Leoni lebt. Und sie kommt zurück.«
»Das wäre sie auch so. Übermorgen, zum Prozess.«
»Und noch mal Blödsinn. Faust hat bis zur letzten Sekunde gelogen. Er manipulierte das System des Zeugenschutzes und machte daraus seine private Gelddruckmaschine. Er wollte die Dreiviertelmillion nehmen und verprassen.«
»Er hatte Leberkrebs«, warf Ira ein. »Eben deshalb war ihm der Prozess doch völlig egal. Denken Sie mal nach: Wie lange gaben ihm die Ärzte noch? Ein halbes Jahr? Ich wette, er wollte den Rest seiner Tage im Luxus schwelgen und dabei Leoni im Ausland versauern lassen.«
»Das ist doch absurd. So etwas kann man nicht auf Dauer geheim halten. Irgendwann wäre alles aufgeflogen.«
»Warum? Leoni hätte sich nie freiwillig bei mir gemeldet. Aus Furcht vor ihrem Vater hätte sie sich auch ein Leben lang vor ihm versteckt gehalten. Und selbst wenn nicht? Was kümmerte es Faust, ob seine Lügen irgendwann herausgekommen wären. Er war ein todkranker Mann. Wenn alles aufflog, wäre er mit Sicherheit längst unter der Erde gewesen.«
»Mag sein. Trotzdem hatten Sie kein Recht zu dem, was heute geschehen ist.«
Sie hob die Hand und erstickte damit Jans Einwände, bevor er den ersten Ton von sich geben konnte. »Ja, ja, ich weiß, was jetzt kommt. Sie sind nur ein Opfer der Umstände, richtig? Man hat Ihnen übel mitgespielt. Ein machtsüchtiger Ankläger hat den Staatsapparat manipuliert, um den Prozess seines Lebens zu gewinnen oder um zu Geld zu kommen. Egal. Dazu hat er alle belogen. Seine Kollegen, Leoni und sogar die Mafia. Und Sie haben dadurch alles verloren, was Ihnen wichtig war: Ihren Beruf, Ihr Vermögen und Ihre Ehre.«
»Sie vergessen meine Frau und das Baby«, warf Jan ein. Er legte den Kopf zur Seite. Eine Sekunde später hörte auch Ira das dumpfe Geräusch. Unbeirrt fuhr sie fort: »Sicher. Das ist alles sehr schlimm, Jan. Dennoch, nichts davon gab Ihnen heute das Recht zu einem Terroranschlag auf unschuldige Menschen. Stuck, Timber, Flummi und meine Tochter haben nichts verbrochen. Dem Chefredakteur des Senders hat man die Zähne ausgeschlagen, bevor er gemeinsam mit mir gefoltert wurde und dabei fast verbrannte .«
Ira hielt kurz inne, weil sie sich an Diesels Versprechen erinnern musste. An die Einladung zum Drink, wenn das alles hier überstanden sein sollte.
»Davon abgesehen, haben Sie heute einen Multimillionen-Euro-Einsatz ausgelöst und ganz Deutschland in den Ausnahmezustand versetzt«, schloss sie schließlich. »Ich weiß. Es tut mir leid. Aber ich hatte keine andere Wahl.«
»Das ist der wohl erbärmlichste Satz, den ein Mann wie Sie äußern kann. Sie hatten immer eine Wahl. Sie waren nur nicht mutig genug, den Preis für Ihre Entscheidungen zu zahlen.«
»Ach ja? Was gab es denn für eine Alternative? Ich hab doch alles versucht. Ich bin zur Polizei, zur Politik und zu den Medien gegangen. Ich wurde ausgelacht, ignoriert und sabotiert. Ich habe jeden legalen Weg ausgeschöpft, doch gegen eine Verschwörung in dieser Größenordnung konnte ich nichts ausrichten. Selbst mein Amoklauf hier hat doch nur dank Ihrer Hilfe funktioniert. Also, Frau Samin, ich höre: Was für eine Wahl hatte ich noch?«
»Ganz einfach: Sie hätten Leoni vergessen können.«
»Niemals.«
Die Antwort kam schneller als ein Reflex. »Sehen Sie«, triumphierte Ira, »so geht es uns allen im Leben. Wir haben immer die Wahl, aber wir fürchten die Konsequenzen. Wir könnten den Job aufgeben, den wir hassen. Aber dann
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