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Amokspiel

Amokspiel

Titel: Amokspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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wären wir ja arbeitslos. Wir könnten den Mann verlassen, der uns betrügt. Aber dann wären wir ja alleine. Und Sie hätten wählen können, Leoni nie mehr wiederzusehen. Doch dieser Preis war Ihnen zu hoch. Deshalb mussten Unschuldige heute die Rechnung für Sie begleichen.«
    »Spucken Sie hier nur große Töne, oder legen Sie den gleichen Maßstab auch bei sich selbst an?« Für einen kurzen Moment dachte Ira, sie würde noch stärkere Kopfschmerzen bekommen. Dann realisierte sie, dass das Wummern von draußen kam. Ein Hubschrauber. Er wurde lauter.
    »Sie wollen über mich reden? Gut, bitte sehr. Heute Morgen wollte ich mich umbringen. Ich hätte auch weiter zu Hause die Wand anstarren und meine Selbstzweifel mit billigem Schnaps ertränken können. Ich hatte also die Wahl. Und ich traf eine eigenständige Entscheidung. Ich wollte sterben.«
    »Und daran ist nicht Saras Selbstmord schuld? Oder Kitty, die seitdem nicht mehr mit Ihnen sprechen will?«
    »Nein. Das wäre zu billig. Es gibt doch kein Naturgesetz der Psyche, das da lautet: >Wenn sich die Tochter vergiftet, dann muss die Mutter ihr folgen.< Wir geben immer den anderen die Schuld. Oder wir machen die Umstände für unser Lebenstrauma verantwortlich. Tatsächlich aber gibt es nur einen einzigen Menschen, der uns fertigmachen kann. Nur eine Person hat die Macht, uns völlig zu zerstören, wenn wir es zulassen. Und das sind wir selbst.« Erst dachte sie, er würde sich über sie lustig machen. Dann sah sie ehrliche Anerkennung aus seinem Gesicht sprechen.
    »Bravo.« Jan klatschte leise in seine Hände. »Eigentlich müsste ich Ihnen die Sitzung heute in Rechnung stellen.«
    »Wieso?«
    »Weil Sie soeben die Antwort gefunden haben!«
    »Auf welche Frage?«
    »Die Sie antreibt, Ira. Die Frage, wer Ihrer Tochter Sara so viel Leid zugefügt hat, dass sie keinen Ausweg mehr sah.«
    Wovon redet er?, fragte sich Ira und musste unwillkürlich an die letzte Stufe denken. An den fehlenden Zettel.
    »Wiederholen Sie doch noch einmal Saras letzte Worte«, bat Jan mit weicher Stimme. Sie antwortete ihm mit belegter Stimme, fast wie in Trance: »Bald wirst du wissen, wer mir das hier angetan hat. Und dann wird alles gut.«
    »Sehen Sie? Sara behielt Recht. Sie haben es erlebt, Ira. Am eigenen Leib. Als Sie heute Morgen die Vorbereitungen für Ihren Selbstmord trafen, standen Sie an der gleichen Schwelle wie damals Ihre Tochter. Niemand hat sie dahin geführt. Niemand hat Sara missbraucht. Ihre Tochter ging allein durch die Hölle. Sie tragen daran keine Schuld.«
    Die dumpfen Geräusche waren jetzt ganz deutlich hörbar. Der Hubschrauber befand sich im Landeanflug oder hatte ihn bereits abgeschlossen.
    »Es gibt niemanden, dem wir die Schuld dafür geben können. Außer Sara selbst.«
    Ira schüttelte ihren Kopf. Ihre Haare bewegten sich dabei kaum, sie waren starr vor Dreck und Schweiß und etwas Blut.
    »Woher wollen Sie das so genau wissen?«
    »Weil Sie und Sara sich so verdammt ähnlich sind. Nicht nur rein äußerlich, sondern auch in der Wahl der Mittel.
    Bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Bereit, sich selbst zu opfern.«
    »Sie kannten sie doch gar nicht.«
    Jan öffnete den Mund, doch seine Worte brauchten etwas länger, bevor sie herauskamen.
    »Vielleicht besser, als Sie denken, Ira«, sagte er schließlich.
    Der Computermonitor der Telefonanlage piepste zweimal kurz auf, bevor Ira ihn fragen konnte, was genau er damit meinte.
    Ein Textfeld öffnete sich und machte blinkend auf einen eingehenden Anruf aufmerksam.
    Sie erkannte die Nummer. Götz. Es war so weit.

25.
    »Leoni ist da«, sagte der Teamchef knapp, als Jan ans Telefon kam.
    Der Geiselnehmer nickte kurz, verzog keine Miene und drückte Götz wortlos aus der Leitung. Als er sich zu Ira umdrehte, zeigte sein Gesichtsausdruck wieder jenes Selbstbewusstsein, mit dem er heute Morgen das Amokspiel gestartet hatte. Offensichtlich mobilisierte das Adrenalin die letzten Reserven in ihm. »Drehen Sie sich um, und verschränken Sie die Hände wie zum Gebet, Ira«, befahl er. Auch seine Stimme gewann langsam an Festigkeit zurück. Ira gehorchte und hörte, wie er hinter ihrem Rücken etwas aufriss. Dann trat er ganz dicht an sie heran. Er fesselte ihre Hände mit grauem, unelastischem Klebeband in Höhe der Handgelenke. Warum steht er hinter mir?, fragte sich Ira. Was hat er vor?
    »Nicht umdrehen«, sagte Jan, als ob er jetzt ihre Gedanken lesen könnte, wo er ihr so nahe war. Als Nächstes fühlte sie,

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