Amokspiel
können.
»Ich bin alleine«, antwortete Götz, und sie musste unwillkürlich lächeln. Mit diesen Worten hatte er sie früher immer angerufen, wenn er wollte, dass sie die Nacht bei ihm verbrachte. Oder den Rest ihres Lebens, wenn es nach ihm gegangen wäre. Manchmal fragte sie sich, ob nicht alles anders gekommen wäre, wenn sie sich damals auf mehr als nur eine Affäre eingelassen hätte. Doch dann hatte sie Sara gefunden, und mit ihrer Tochter waren auch alle Gedanken an eine glückliche Zukunft gestorben. »Allein?«, rief Ira. »Du läufst alleine in voller Einsatzausrüstung und mit deinem >Baby< im Anschlag zum Laden an der Ecke?«
Sie ging langsam auf den fünf Jahre älteren Polizeihauptkommissar zu, mit dem sie die meisten ihrer Berliner Einsätze durchgestanden hatte. Und einige Nächte. »Wozu? Wolltest du Milch holen?«
»Nein«, antwortete er knapp. »Dich.«
»Mich?«
»Ja. Du hast einen Einsatz. Der Rest der Crew wartet bereits im Park. Ich bin hier nur zufällig vorbeigelaufen, als ich dich von zu Hause abholen wollte.« Sie gingen beide nach draußen, und Ira sah zum ersten Mal, welchen Menschenauflauf sie verursacht hatten. Die halbe Nachbarschaft starrte sie an, während sie mit dem schwer bewaffneten Mann diskutierte. Von weitem hörte sie die Sirenen eines herannahenden Krankenwagens. »Ich arbeite nicht mehr für euch«, sagte sie zu Götz. »Ich weiß.«
»Na also. Dann such dir jemand anderen.«
»Willst du denn gar nicht hören, was passiert ist?«
»Nein«, antwortete sie, ohne ihn anzusehen. »Es ist mir völlig egal. Ich hab heute etwas Wichtigeres zu tun.« Ich will mich vergiften. Und dazu brauch ich nur noch eine Cola light Lemon. Diese Gedanken behielt sie für sich. »Hab mir gedacht, dass du so reagierst«, erwiderte Götz. »Aha. Und wieso bist du dann trotzdem vorbeigekommen?«
»Weil ich dich überreden werde.«
»Na, da bin ich ja mal gespannt. Wie denn?«
»So!«, antwortete er ihr lächelnd, stellte ihr in Windeseile ein Bein, warf sie auf den Boden und legte ihr so atemberaubend schnell ein Paar gusseiserner Handschellen an, dass zwei herumstehende Halbstarke applaudierten, als er damit fertig war.
»Steuer hat mich autorisiert, alles zu tun, was erforderlich ist, um die Krise in den Griff zu kriegen.«
»Ich hasse dich, Götz«, grunzte Ira. Während sie von ihm hochgerissen wurde, registrierte sie, dass einige Umstehende mit ihren Foto-Handys ein paar Aufnahmen machten. Mittlerweile war der Krankenwagen eingetroffen, und ein Aufgebot von Streifenfahrzeugen jagte die Straße hinunter.
»Und ich pfeif auf Steuer! Du weißt, was ich von dem reaktionären Fascho-Armleuchter halte.«
»Ja. Nur leider besitzt der >Fascho-Armleuchter< heute die taktische Einsatzleitung.«
Oh, dachte Ira, während sie sich widerstrebend von Götz über die Straße führen ließ. Dann musste es etwas Großes sein, wenn Andreas Steuer, der leitende Polizeidirektor, bei diesem Einsatz persönlich die Fäden an sich riss. Etwas ganz Großes. »Wohin gehen wir?«, fragte sie. »Wie ich schon sagte, in den Park.«
»Was soll der Quatsch. Ihr habt das Einsatzfahrzeug im Park abgestellt? Geht's noch auffälliger?«
»Wer sagt etwas von einem Fahrzeug?« Götz trieb Ira noch weiter zur Eile an. »Dort, wo wir hin müssen, gibt es mit einem Auto bereits jetzt kein Durchkommen mehr.«
»Aha.«
Während Ira noch überlegte, wo das sein könnte, aktivierte der SEK-Beamte das Helmmikrophon mit einem Druck auf die Sprechtaste auf seiner Brust.
Dann gab er den Befehl, den Hubschrauber sofort zu starten.
7.
Der Viktoriapark unter ihr entfernte sich dröhnend und ließ die gaffenden Passanten in einer Wolke aus Laub, Erde und aufgewirbeltem Müll zurück. Als Ira klar wurde, dass Götz immer noch keine Anstalten machte, ihr die Handschellen wieder abzunehmen, sah sie sich gelangweilt in der engen Kabine des brandneuen Hubschraubers um. Außer ihr, Götz und dem Piloten befanden sich noch vier SEK-Beamte an Bord. Alle genau wie ihr Teamchef komplett in Kampfmontur.
»Wohin fliegen wir?«, brach sie das Schweigen. Der Helikopter wurde gewendet und flog in südliche Richtung. »Zum Potsdamer Platz. Das MCB-Gebäude.« Götz' Stimme klang etwas blechern, war aber trotz der Nebengeräusche über die Helmkopfhörer gut zu verstehen.
»Wie viele?« Ira konnte sich denken, dass man sie wegen ihres Spezialgebietes angefordert hatte: Geiselnahme. »Das wissen wir noch nicht«, antwortete Götz und
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