Amokspiel
zögerlich antworten.
»Okay, Flummi. So wie ich die Sache sehe, sind Sie hier der Showproduzent, das heißt, Sie kennen sich mit dem Mischpult und dem Computerkram aus. Richtig?«
» Ja .«
»Haben Sie in diesem Kasten hier auch irgendwo einen Trommelwirbel? So wie im Zirkus, wenn der Elefant rein-kommt? Okay, den will ich hören, wenn ich Ihnen gleich ein Zeichen gebe. So ...«
Der Geiselnehmer sprach wieder zu allen Radiohörern, und seine Stimme besaß jetzt eine eindringliche Präsenz, als ob er direkt neben Ira im Hubschrauber sitzen würde.
»Hier ist Regeländerung Nummer 1: Ich rufe weiterhin wahllos irgendjemanden aus dem Berliner Telefonbuch an. Aber es gibt keine fünfzigtausend Euro zu gewinnen. Stattdessen geht es um etwas viel Wertvolleres. Doch dazu gleich. Denn zunächst müssen Sie die zweite Regeländerung kapieren. Die ist die wichtigste.« Ein Trommelwirbel setzte ein, und der Geiselnehmer sprach jetzt im Tonfall eines Rummelplatzansagers: »Regeländerung Nummer 2, meine Damen und Herren: Die Kohle-Parole hat sich geändert. Sie lautet ab sofort: >Ich höre 101Punkt5, und jetzt lass eine Geisel frei!<« Der Wirbel hörte abrupt auf.
»Um es noch einmal ganz schlicht zusammenzufassen: Es ist jetzt 7.36 Uhr. Ab jetzt spiele ich jede Stunde einmal Cash Call nach meinen Regeln. Zum ersten Mal wird um 8.35 Uhr irgendwo in Berlin ein Telefon klingeln. Vielleicht bei Ihnen zu Hause. Oder auch bei Ihnen im Büro. Und wenn Sie abheben und sich mit der neuen Parole melden, dann lass ich eine der Geiseln hier nach Hause gehen. Klingt doch fair, oder?«
Bei den letzten Worten registrierte Ira eine Veränderung im Tonfall des Geiselnehmers. Sie ahnte, was jetzt kommen würde.
»Sollte ich aber nicht die richtige Parole hören, dann wäre das schade. Denn dann hätte jemand diese Spielrunde verloren.«
O mein Gott. Ira schloss die Augen. »Das bedeutet konkret: Wenn derjenige, den ich anrufe, direkt nach dem Abheben seinen Namen sagt. Oder >Hallo<. Oder irgendetwas anderes als > Ich höre 101Punkt5 und jetzt lass eine Geisel frei<, dann werde ich jemanden hier im Studio erschießen.«
8.
Es zischte kurz in den eingebauten Helmlautsprechern, und Ira öffnete ihre Augen, als Steuer sich wieder zu Wort meldete. »So weit die Aufzeichnung. Es ist jetzt 8.06 Uhr. Das heißt, wir haben weniger als dreißig Minuten bis zur ersten Spielrunde. Wir müssen erst einmal davon ausgehen, dass der Kerl es ernst meint. Die Verhandlungsgruppe unter Simon von Herzberg hat bereits ihr Quartier im Sender aufgeschlagen ...«
»Im Sender?«, unterbrach Ira den SEK-Chef. »Seit wann verhandeln wir direkt in der Gefahrenzone?« Normalerweise gab es für derartige Krisen eine technisch perfekt eingerichtete, stationäre Leitstelle in Tempelhof. In wenigen Ausnahmefällen fuhren sie mit einem mobilen Einsatzwagen direkt vors Gebäude. Aber sie betraten niemals den Tatort.
»Das MCB-Hochhaus bietet ausnahmsweise perfekte Bedingungen für eine Einsatzzentrale. Das sechste Stockwerk ist noch nicht bezogen, hier können wir den Zugriff während der Verhandlungen proben«, erläuterte Steuer ungeduldig.
»Na, so perfekt kann die Lage ja doch nicht sein«, sagte Ira.
»Wieso?«, fragte Steuer, und zum ersten Mal bemerkte sie anhand der Hintergrundgeräusche, dass er sich in einem leeren Raum oder einer großen Lagerhalle aufhalten musste. »Weil Sie mich nicht holen würden, wenn Sie bereits einen Verhandlungsführer hätten. Aber Simon von Herzberg ist eine unerfahrene Flachpfeife. Und deshalb soll ich jetzt mein Frühstück sausen lassen, damit Sie sich nicht vor aller Welt lächerlich machen, weil ein Grünschnabel vom BKA die Sache versaut.«
»Sie irren sich«, schnauzte Steuer zurück. »Herzberg ist ganz und gar nicht das Problem. Im Gegensatz zu Ihnen ist er nicht nur Psychologe, sondern offizielles Mitglied unserer Spezialeinheit.«
Da war er wieder. Der alte Vorwurf. Das Vorurteil, man könne eher einem guten Polizisten Verhandlungstechniken beibringen als einem schlechten Psychologen die Polizeiarbeit. Dass Ira beides war, Psychologin und Polizistin, wollte Steuer nicht gelten lassen. Ihre Grundausbildung in Hamburg beim MEK, der einzigen Sondereinheit Deutschlands, die Frauen aufnahm, war in seinen Augen wertlos, da sie es vorgezogen hatte, danach nur bei ausgesuchten Fällen als beratende Kriminalpsychologin vor Ort zu arbeiten, um ansonsten angewandte Psychologie an der Polizeischule zu lehren. Aufgrund ihrer
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