Amokspiel
spektakulären Erfolge, unter anderem beim Zehlendorfer Geiseldrama, duldete Steuer sie hin und wieder am Tatort, damit ihm hinterher niemand vorwerfen konnte, er hätte nicht alles versucht.
»Herzberg ist ein versierter Mann. Und nur damit Sie es ganz genau wissen, Frau Samin. Ich halte Sie für eine abgewrackte Alkoholikerin mit zerrütteten Familienverhältnissen, die ihre besten Tage lange hinter sich hat und bei der es nur noch eine Frage der Zeit ist, wann sie ihre persönlichen Probleme mit an den Tatort schleppt, um dadurch zu einer viel größeren Gefahr für Leib und Leben der anderen zu werden als jeder noch so durchgeknallte Psychopath, mit dem sie verhandeln will.«
»Ja, ja. Ich kann Sie auch ganz gut leiden«, erwiderte Ira und dachte wieder an ihre Cola light Lemon. »Aber wieso befinde ich mich dann in diesem Moment im Landeanflug auf das MCB-Gebäude und nicht zu Hause in meiner Küche am Herd, wo ich Ihrer Meinung nach doch hingehöre?«
»Was fragen Sie mich? Glauben Sie allen Ernstes, das war meine Idee?« Steuers Stimme klang amüsiert. »Hätte Götz sich nicht für Sie stark gemacht, würde ich kaum meine Zeit mit Ihnen verplempern.«
Ira warf Götz einen fragenden Blick zu, der sich daraufhin achselzuckend von ihr abwandte. »Wenn es nach mir geht ... «, setzte Steuer wieder an, » ... und es geht nach mir, werden Sie so schnell wie möglich durch einen kompetenteren Mann ersetzt. Bis dahin nehmen Sie Herzbergs Platz ein, denn der Irre weigert sich aus irgendeinem Grund, mit ihm zu sprechen.« Das macht ihn wiederum sympathisch, dachte Ira, behielt es aber für sich.
»Eine weitere Komplikation entsteht dadurch, dass er nur übers Radio verhandeln will. Öffentlich. Jeder soll mithören.«
Steuer atmete schwer aus.
»Wenn wir ihm den Saft abdrehen, will er sofort jemanden erschießen.«
Die Tür flog auf, als Diesel gerade hinter seinem Schreibtisch saß und einen halben Liter flüssigen Grillkohleanzünder in den Papierkorb goss.
»Was machen Sie hier denn noch?«, schrie der kleine Mann, der in diesem Abschnitt des Stockwerks offenbar niemanden mehr vermutet hatte.
9.
Das MCB-Gebäude wurde seit zwanzig Minuten komplett evakuiert. Diesel wusste genau, dass die Frage des geschniegelten Lackaffen mit der Nickelbrille nur rhetorisch gemeint war. Trotzdem gab er brav eine Antwort. »Was ich mache? Na, wonach sieht's denn aus? Ich verbrenne die Show.«
»Sie verbrennen ...?«
Eine grelle Stichflamme schoss aus dem verzinkten Mülleimer etwa anderthalb Meter hoch in Richtung Zimmerdecke und raubte Simon von Herzberg für eine Sekunde den Atem. »Verdammt!«
»Hey, hey, hey!« Diesel schnitt dem Mann das Wort ab. »In meinem verschissenen Büro wird nicht geflucht, verdammter Mist.«
Dann lachte er laut auf, weil der schmächtige Beamte in der Tür offensichtlich nicht wusste, worüber er sich zuerst wundern sollte. Dass er in einem Raum stand, der eher wie ein Spielzeugladen als ein Arbeitszimmer aussah. Oder dass der Verrückte ihm gegenüber doch wohl nicht derjenige sein konnte, der sich laut Türschild in diesem Zimmer aufhalten sollte. Nämlich der Chefredakteur des Radiosenders 101Punkt5.
»Hände hoch, und ganz langsam aufstehen!«, brüllte Herzberg jetzt und nickte den zwei Beamten zu, die hinter ihm bereits ihre Dienstpistolen gezogen hatten. »Ho, ho, ho, ganz ruhig«, erwiderte Diesel. Statt dem Befehl des Verhandlungsführers Folge zu leisten, blieb er sitzen und begann langsam, sich mit beiden Händen sein graues Sweatshirt über den Kopf zu ziehen. »Verdammt heiß hier auf einmal, was?«, drang seine Stimme dumpf lachend durch den Stoff. Dabei zerrte er weiter an dem Kleidungsstück. Doch ganz offensichtlich bekam Diesel auf einmal Probleme, das Sweatshirt über seine platinblond gefärbten Haare zu ziehen. »Mist. Ich hab mich an meinem Nasenpiercing verheddert .«
Von Herzberg drehte sich zu seinen Kollegen um, nur um sich zu vergewissern, dass sie dasselbe sahen wie er. Denn mittlerweile war Diesel aufgestanden und taumelte quer durch den Raum.
»Können Sie mir mal bitte helfen, sonst . Kacke.« Diesel knallte mit voller Wucht gegen einen Spielautomaten, den man normalerweise nur in Bahnhofskneipen vermuten würde, aber ganz bestimmt nicht im Büro eines Abteilungsleiters. Doch als Chef der verrücktesten Radioshow Deutschlands hatte man Diesel vertraglich gewisse Freiheiten zugestanden. Solange die Quoten stimmten, durfte er aus seinem Büro ein Disneyland
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