Amokspiel
für Erwachsene machen. Ein Arbeitsumfeld, in dem ihm angeblich die besten Ideen kamen. Und man verzieh ihm sogar seine pyromanischen Neigungen, denen er seinen Spitznamen verdankte und deretwegen man in seinem Büro die Rauchmelder herausgeschraubt hatte. Während ihm die zwei Kripobeamten Feuerschutz gaben, ging Herzberg mit gezogener Pistole zwei Schritte in den Raum hinein.
»Wo bin ich?«, schrie Diesel fast panisch und rammte mit seinem Kopf einen von der Decke hängenden Sandsack. Jetzt hatten sich seine Arme auch noch hoffnungslos in dem Shirt verfangen. Fast wäre er der Länge nach hingefallen. Sein Sturz wurde nur von dem Starwars-Flipper gebremst, der mitten im Raum stand. Auf dem lag er jetzt bäuchlings.
»Aufstehen!«, brüllte Herzberg, die Waffe weiterhin im Anschlag. »Ganz langsam.«
»Okay.« Diesel leistete dem Befehl Folge, und seine Stimme klang gedämpft, wie durch ein Kissen. »Ich glaub, ich krieg keine Luft mehr.« Herzberg machte einen Schritt auf den Chefredakteur zu und tastete ihn mit seiner linken Hand nach Waffen ab. »Die Hände oben lassen, nicht umdrehen!« Mittlerweile versammelten sich vor dem Büro noch weitere Polizisten, die alle mit offenen Mündern das skurrile Schauspiel durch die Glasscheiben verfolgten. »Gut.« Diesel war unbewaffnet und Herzberg beruhigt. »Wie kann ich Ihnen helfen?« Man konnte an Herzbergs Stimme hören, dass er jetzt langsam wieder in gewohntes Fahrwasser kam. Als psychologisch geschulter Verhandlungsführer des BKA besaß er ausreichend Erfahrungen bei Kriseninterventionen. Obwohl diese Krise hier garantiert in keinem Lehrbuch behandelt wurde. »Mein Nasenring hängt irgendwo an dem Reißverschluss fest.«
»Okay, ich verstehe. Aber das ist kein Probleeeeeee...« Herzberg schrie beim letzten Wort wie ein Teenager beim Looping in einer Achterbahn. Dabei wich er panisch zurück. Denn urplötzlich war Diesel herumgeschnellt und riss sich im Bruchteil einer Sekunde das Shirt vom Kopf. »Buh!«
Herzbergs Schrei endete so abrupt, wie er begonnen hatte, und jetzt wandelte sich seine Stimmungslage von blanker Angst zu purem Entsetzen. Denn irgendwie war es Diesel gelungen, sich unter dem Kleidungsstück eine Scherzartikel-Brille aufzusetzen, bei der auf Knopfdruck zwei blutige Gummiaugäpfel aus der Fassung fielen. Sie kullerten Herzberg direkt vor die Füße. »April, April.« Diesel lachte schallend und registrierte amüsiert, dass auch die Beamten vor seinem Büro sich ein Grinsen nur schwer verkneifen konnten. »Sind Sie wahnsinnig? Ich . ich hätte Sie töten können«, keuchte Herzberg, als er wieder etwas klarer denken konnte. »Sie, Sie . Sie stören gerade einen sensiblen Einsatz und benehmen sich unverantwortlich«, tobte er weiter. »Ich bin empört.«
»Angenehm. Ich bin Clemens Wagner«, grinste der Chefredakteur und erntete damit erneut ein Schmunzeln der Polizisten.
»Aber meine Feinde dürfen mich Diesel nennen.«
»Schön, äh, Herr Wagner. Dann sind Sie neben Markus Timber heute Morgen der ranghöchste Mitarbeiter hier im Sender?«
»Ja.«
»Und warum benehmen Sie sich dann wie ein Kleinkind? Warum haben Sie nicht wie alle anderen das Gebäude verlassen, sondern fackeln stattdessen Ihr, äh .« Herzberg sah sich verächtlich um. ». Ihr Büro ab?«
»Ach, deswegen sind Sie so sauer?« Diesel sah zu dem Papierkorb, aus dem immer noch leichter Rauch aufstieg.
»Das ist nur so 'ne alte Angewohnheit von mir.«
»Alte Angewohnheit?«
»Ja. Wenn eine Show nicht gut war, drucke ich alle Texte aus und verbrenne sie. Ist so ein Ritual.« Nachdem Diesel kein Sweatshirt mehr trug, sah man jetzt die auf seine Unterarme tätowierten züngelnden Flammen.
»Und das heute ist doch echt eine miese Morgenshow -oder?«
»Ich hab davon keine Ahnung. Und ich habe auch keine Zeit mehr zu verlieren. Ein Beamter wird Sie sofort zum Auffanglager begleiten, das wir im Sony-Center eingerichtet haben.«
Herzberg nickte in Richtung Ausgang, doch Diesel blieb einfach stehen.
»Schön, aber ich komme nicht mit.«
»Wie meinen Sie das schon wieder?«
»So, wie ich es sage. Ich bleibe hier.« Diesel ging zu einer überlebensgroßen Barbiepuppe und drückte ihr auf die rechte Brust. Sofort öffneten sich ihre Lippen, und man hörte das laufende Programm aus ihrem Mund. Auf 101Punkt5 lief gerade Werbung. »Der Geiselnehmer will, dass alles so weiterläuft wie immer«, erklärte Diesel. »Das bedeutet: zweimal die Stunde Nachrichten, alle fünfzehn
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