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Amokspiel

Amokspiel

Titel: Amokspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Schrift wohl noch würde lesen können. Ihre Hände schwitzten bereits leicht. Bald würden sie zu zittern anfangen, wenn sie ihren Blutalkoholspiegel weiter so vernachlässigte.
    »Schön«, grunzte Herzberg und stand auf. »Seine Personen-Beschreibung haben wir durch das Video. Wir jagen gerade dieses Bild durch den Polizeicomputer.« Er nahm einen DIN-A5-Farbausdruck aus dem Scanner und pappte ihn an das Flipchart. »Aber woher wissen Sie, was er beruflich macht?«
    »Da ist zunächst sein Sprachduktus«, antwortete Ira mechanisch. »Er ist auffallend elaboriert. Der Täter benutzt Fremdworte, und seine Sätze bestehen aus mehr als sechs Wörtern. Umgangssprache, Dialekt und Schimpfwörter setzt er bewusst ein, um einen Kontrast zu seiner sonst so gepflegten Wortwahl zu setzen. Der Mann hat gelernt, sich auszudrücken, und er geht wahrscheinlich einem Beruf nach, in dem er viel und oft mit Menschen reden muss. Seine Stimme ist geschult, mit einem angenehmen Klang. Er weiß, dass man ihm gerne zuhört. Außerdem hat er entweder beruflich, in jedem Falle aber privat, häufig mit Künstlern zu tun.«
    »Woher wollen Sie das denn wissen?«
    »Hier.« Ira drückte Herzberg den Edding in die Hand, ging zurück zum Schreibtisch und öffnete noch einmal das File mit dem Überwachungsvideo. Als sie die Stelle fand, pochte sie mit dem Zeigefinger auf den Monitor.
    »Perücke, falsche Zähne, Jogginghose, Bierbauch, Krücken. Der Mann ist perfekt verkleidet. Und sehen Sie, wie er läuft?«
    Sie bewegte die Maus, und die letzten Bilder des Videos zeigten den Geiselnehmer, wie er langsam zum Treppenhaus schlurfte.
    »Er spielt großartig. Nicht so übertrieben, wie vielleicht ein ungeübter Laie einen Mann mit einer Gehbehinderung mimen würde. Sehen Sie, wie vorsichtig er sein kaputtes Bein aufsetzt? Entweder er ist selbst Schauspieler, Maskenbildner, oder - was wahrscheinlicher ist - er hat Kontakte in diese Szene, und jemand hat ihm Unterricht gegeben.«
    »Meinen Sie nicht, das ist etwas weit hergeholt?« Herzberg sah sie zweifelnd an.
    »Vergessen Sie nicht die Tat selbst. Die Geiselnahme wurde fast generalstabsmäßig durchgeführt. Und die Idee mit dem Cash Call deutet ebenfalls auf eine überdurchschnittliche Kreativität des Täters hin.«
    »Schön. Gibt es sonst noch etwas, was Sie aus dem Video ziehen?«
    »Jede Menge. Doch ich will hier nicht unsere kostbare Zeit mit sinnlosem Gerede verschwenden. Deshalb nur schnell das Wichtigste in einem Satz: Der Geiselnehmer kennt jemanden in diesem Sender.«
    Herzberg öffnete den Mund, aber seine Worte kamen vor Staunen erst mit einer kleinen Zeitverzögerung heraus.
    »Und wie haben Sie das jetzt wieder herausgefunden?«
    »Überlegen Sie doch einfach mal selbst. Warum hat der Mann sich verkleidet? Warum die Mühe?«
    »Damit er unerkannt bleibt.«
    »Gut. Unerkannt. Aber von wem?«
    »Sie meinen ...?«
    »Richtig. Die Überwachungskameras belegen, dass er sich erst im Fahrstuhl umgezogen hat. Also wird die Person, die ihn nicht entdecken sollte, wohl kaum am Empfang sitzen. Es muss sich um jemanden hier im Sender handeln. Stimmt's?«
    »Auffallend«, gab Herzberg zu. »Aber warum hat er sich nicht schon verkleidet, bevor er das MCB-Gebäude betrat? Warum die Hektik im Fahrstuhl? Er hätte sich doch ganz einfach in Ruhe zu Hause umziehen können.«
    »Das sind die ersten vernünftigen Fragen, die Sie heute Morgen stellen. Und es gibt auf alle eine ganz einfache Antwort: weil unser Mann nicht nur kreativ ist, sondern auch gut plant. Sehen Sie hier.«
    Mit drei Mausclicks spulte Ira das Überwachungsvideo zurück und startete es erneut bei den Aufnahmen von 7.00 Uhr früh.
    »Alle anderen Studio-Gäste, mit Ausnahme des UPS-Fah-rers, sind vor dem Geiselnehmer im Sender eingetroffen. Und fast alle mussten ihre Taschen vorzeigen.« Ira drehte sich zu Herzberg um und kontrollierte, ob er ihr auch aufmerksam zuhörte.
    »Unser Freund hingegen kam um 7.24 Uhr mit einem J uristenkoffer und sah aus wie der typische Anwalt. Er wurde problemlos durchgewunken. Kein Zweifel: Er wollte seriös wirken. Wäre er gleich in seiner Proletenverkleidung aufgetaucht, hätte er damit rechnen müssen, dass er auffliegt, weil ein übereifriger Wachmann ihn abtastet. Das Risiko wollte er nicht eingehen.«
    »Das sind alles irgendwie keine guten Nachrichten«, sagte Herzberg und setzte sich wieder an seinen Platz Ira gegenüber.
    »Nein. Denn sie verraten uns nicht nur etwas über den Täter,

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