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Amokspiel

Amokspiel

Titel: Amokspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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ausweinte, desto deutlicher schälte sich in ihrem Innersten eine bittere Erkenntnis heraus: Ihre Tochter würde heute Morgen eher eine Runde Cash Call gewinnen, als dass sie diese aussichtslose Verhandlung leiten könnte.

II. Teil
    Es ist jener Teil meiner Arbeit, der mir immer wieder am interessantesten erscheint. Direkte Gespräche mit Leuten zu führen, welche in Erfahrungswelten leben, die wir nicht betreten können.
    Thomas Müller, Bestie Mensch
    Beim Spiel kann man einen Menschen in einer Stunde besser kennen lernen, als im Gespräch in einem Jahr.
    Platon

1.
    H mm.«
    Ira atmete tief in den Bauch in der schwachen Hoffnung, damit einer ihren ganzen Körper beherrschenden Panikattacke entgegenzuarbeiten.
    Katharina - Kitty - Katharina - Kitty! Vor- und Spitzname ihrer jüngsten Tochter gellten abwechselnd in ihrem Kopf, während vor ihr auf dem Computermonitor die letzten Bilder des Überwachungsvideos liefen. Sie war erst vor wenigen Minuten in Diesels Büro zurückgekehrt, doch Igor, der Techniker, hatte ihr bereits einen direkten Intranet-Zugang zum Zentralrechner verschafft. »Hmm«, seufzte Ira erneut und stoppte die Aufnahme, so dass der auf Krücken humpelnde Geiselnehmer mitten in einer Bewegung auf dem Flur des neunzehnten Stockwerks erstarrte. Sie wertete die Bilder jetzt schon zum dritten Mal aus und hatte schon wieder nicht genau hingesehen.
    Ira spürte, wie mehrere Emotionsschübe ihren Körper erschütterten. Zuerst Wut, dann Verzweiflung und schließlich ein Gefühl, das sie schon lange nicht mehr gespürt hatte: Angst. Reinhold Messner hatte einmal nach einer Nahtoderfahrung beim Abstieg vom Mount Everest gesagt, der Vorgang des Sterbens wäre das Leichteste. Schwer wäre es nur vorher. Solange man noch Hoffnung besäße. Wäre aber der feste Entschluss zum Sterben getroffen, ginge alles ganz leicht.
    Ira hatte sich heute früh verabschiedet und seitdem keine Furcht mehr gespürt. Bis jetzt. Die anderen im Raum, Herzberg und Igor, bekamen zum Glück nichts von ihrem schwelenden Anfall mit. Doch in ihrem Innersten glich sie einem verängstigten kleinen Mädchen, das sich aus Angst vor Schlägen in der hintersten Zimmerecke zusammenkauert, während es angeschrien wird: »Du bist ein Wrack. Eine abgewrackte Alkoholikerin. DU SCHAFFST DAS NICHT!«
    Ira gab ihrer inneren Stimme Recht. Vor wenigen Stunden wollte sie eine Schwelle überschreiten, von der es kein Zurück mehr gab. Jetzt stand sie kurz davor, mit einem potenziellen Massenmörder zu sprechen, der ihre letzte Tochter in seiner Gewalt hatte. Katharina. Oder Kitty, wie sie sich jetzt nannte. Anscheinend hat sie nicht nur ihre Mutter abgelegt, sondern auch ihren Namen, dachte Ira. Mist. Ich stecke so tief drin, von Rechts wegen dürfte ich diesen Fall gar nicht annehmen. »Haben wir auch eine Kamera in den Fahrstühlen?«, fragte sie, nur um irgendetwas Intelligentes von sich zu geben.
    »Nein.« Herzberg stand neben ihr und schüttelte den Kopf. »Und soeben hat der Täter auch die Endoskopieka-mera, die Onassis oben in der Decke zurückgelassen hatte, entdeckt und mit einer Farbdose unbrauchbar gemacht.«
    »Na schön, damit war zu rechnen.« Ira schloss das Videofenster auf ihrem Computer und öffnete stattdessen ein Word-Dokument, das sie mit »Geiselnehmer« betitelte. Die folgenden routinemäßigen Handgriffe erleichterten es ihr etwas, die wellenartig aufkommende Panik zu unterdrücken. Sie öffnete zwei weitere Dokumente und versah sie mit den Überschriften »Geiseln« und »Ich«.
    »Dann fassen wir mal zusammen, was wir alles über den Täter wissen«, sagte sie, als sie nach wenigen Sekunden fertig war. Alle drei Dokumente waren jetzt nebeneinander auf dem Monitor angeordnet.
    »Nicht sehr viel, leider.« Herzberg zuckte mit den Schultern.
    »Nun, wie wäre es damit .« Ira stand auf, nahm sich einen Edding und trat an das Flipchart, das neben dem Computertisch direkt vor dem Fenster zur Potsdamer Straße stand, und versuchte, sich an das zu erinnern, was von der Auswertung der Videoaufnahmen hängen geblieben war.
    »Er ist zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahre alt, schlank, zirka ein Meter fünfundachtzig groß, körperlich in guter Verfassung. Er ist Deutscher, gebildet, Akademiker, wahrscheinlich hat er ein geisteswissenschaftliches oder medizinisches Studium abgeschlossen.« Während sie sprach, notierte sie die wichtigsten Fakten ihrer Aufzählung auf dem Chart und fragte sich, wie lange sie heute ihre eigene

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