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Amokspiel

Amokspiel

Titel: Amokspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Mitten im Wort war der Star-Moderator plötzlich abgeschnitten und mit ihm jegliche Hintergrundgeräusche. Jan musste auf »Stumm« geschaltet haben. Ira war sich sicher, dass noch nie zuvor ein Sendeloch auf 101Punkt5 von so vielen Zuhörern mit so großer Aufmerksamkeit verfolgt wurde.
    Sie versuchte aufzustehen und war erneut verblüfft, wie einfach es ging. Sie strich sich ihre Haare aus der Stirn und streckte danach Steuer beide Hände entgegen. »Ich glaube nicht, dass es Sinn hat, Sie zu fragen, ob Sie mir noch eine weitere Minute mit ihm geben?« Er schüttelte energisch den Kopf. Sein gesamter schwammiger Oberkörper schwabbelte im Takt der Bewegung. »Fünf«, knurrte er zu ihrer Überraschung. »Halten Sie ihn mindestens noch fünf Minuten in der Leitung. Er darf sich nicht vom Fleck bewegen. Auf gar keinen Fall in Richtung Erlebnisbereich.«
    Ira ließ die Arme sinken. Das konnte nur eins bedeuten. Es erklärte auch, warum Götz nicht hier oben war. Er sprach den Einsatz mit seinen Männern ab. Sie stürmten. »Was, wenn ich es nicht tue?«
    »Dann sinken die Chancen für Ihre Tochter, und Sie gehen sofort mit den beiden Herren da mit.« Er deutete mit seinem Kopf zu den Beamten.
    »Und was geschieht mit mir, wenn ich hier weitermache?«
    »Das hängt ganz davon ab.«
    »Wovon?«
    »Wie der Einsatz abläuft. Was wir im Studio vorfinden. Vielleicht kommen Sie mit einem Disziplinarverfahren davon.«
    »Wir müssen jetzt aufhören.«
    Ira sah auf den Telefonhörer auf Diesels Schreibtischplatte, aus dem Jans Stimme gerade wieder zu hören gewesen war. Sie nahm ihn auf und hielt die Muschel zu. »Okay, unter einer Bedingung«, flüsterte sie Steuer zu. »Was?«
    »Ich brauche etwas zu trinken.«
    Er musterte sie schnell von oben bis unten. Sein Blick blieb an den feinen Schweißperlen auf ihrer Stirn hängen. »Das sehe ich.«
    »Nein. Ich rede von einer Coke. Am besten Cola light Lemon.«
    Steuer sah sie an, als ob sie einen Stripteasetänzer bestellt hätte.
    »Und ich will zwei Flaschen«, setzte sie noch eins obendrauf.
    Eine jetzt. Eine für zu Hause. Für die restlichen Oleanderkapseln, die ich in der Tüte neben Saras Badewanne gefunden habe. Und die jetzt in meinem Gefrierfach liegen.
    Sie nahm die Hand von der Sprechmuschel und überlegte fieberhaft, wie sie Jan weitere fünf Minuten am Telefon halten könnte. Zumal der gerade auflegen wollte.
    Götz klappte das Visier seines titanlegierten Helmes nach unten. Je nach Einsatz wählte er einen anderen Tarnüberzug aus. »Der Knitterfreie« war nicht nur seine Lebensversicherung, sondern auch sein Glücksbringer. Je gefährlicher, desto dunkler. Heute war er tiefschwarz. Götz stieg auf den Betonsims, der einmal rund um das Dach des MCB-Gebäudes lief, hielt sich an der Kranwinde für die Fensterputzanlage fest und sah in die Tiefe. Irgendwo weit unter ihm baumelte eine Gondel, in der heute eigentlich zwei Reinigungskräfte sitzen sollten, um die nördliche Glasfront zu schrubben. Und die sonst so stark befahrene Potsdamer Straße war menschenleer. Bis auf mehrere Einsatzfahrzeuge und drei Presseübertragungswagen kam niemand durch die weiträumigen Absperrungen in den »heißen Bereich« hinein. Steuer hatte sogar die parkenden Autos der Anwohner abschleppen lassen.
    Also dann, sagte Götz zu sich selbst und klinkte den Karabinerhaken an seinen Gürtel, dicht unterhalb der Schutzweste. Dann stellte er sich mit dem Rücken zum Abgrund. Und sprang.
    Nach nur wenigen Metern presste Götz die beiden Hebel eines kleinen schwarzen Metallgerätes zusammen, durch das ein grüngelbes Kunststoffseil führte, an dem der SEK-Teamchef gerade hing. Das Seil zog sofort an, und Götz stützte sich zwischen dem zweiundzwanzigsten und einundzwanzigsten Stock mit seinen Füßen an der Außenmauer ab. Er ließ noch einige Zentimeter nach, um nun fast parallel mit dem Rücken zur Straße zu hängen. Dann lockerte er den Griff um den Rollgliss wieder und lief langsam die Außenwand hinunter. Das Schweizer Gerät war kleiner als eine Brieftasche und kostete in der Herstellung nur wenige Franken. Trotzdem hatte Götz keine Angst, dem Rollgliss sein Leben anzuvertrauen. Bei Tausenden von Einsätzen hatte es sich bewährt. Selbst wenn er in dieser Position angeschossen oder das Bewusstsein verlieren würde, käme es dank dessen Mechanik nicht zu einer Katastrophe. Götz vertraute auf die Herstellergarantie, nach der jeder Abseilvorgang sofort gestoppt wird, sobald man das

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