Amokspiel
er zuerst. Kurz darauf folgte das dumpfe Wummern von Rotorblättern. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Es ging los. Der Helikopter war gestartet.
36.
Jan wollte nicht länger mit Ira reden. Er konnte es auch nicht mehr. Die Lage geriet langsam völlig außer Kontrolle. Er hatte in seinem Leben schon viele Gruppentherapiegespräche geleitet. Auch viele, bei denen sich am Ende mehrere Personen gleichzeitig anschrien. Aber noch nie zuvor war er selbst das Zentrum des Angriffs gewesen wie just in diesem Augenblick. Und es sah nicht danach aus, dass die aufgebrachte Meute es noch lange nur bei verbalen Attacken belassen würde. »Jan, du Idiot, sieh's ein. Die Show ist vorbei. Gib auf!«
»Oder lass uns wenigstens hier raus!«
»Dein Plan hat nicht funktioniert. Du hast es nicht mehr im Griff!«
Er hörte sich das hysterische Durcheinander kommentarlos an. Den Hörer am linken Ohr. Die Glock in der rechten Hand immer noch auf Kitty gerichtet, die direkt vor ihm stand. Sie war die Einzige auf seiner Seite des Mischpultes. Alle anderen standen an der »Theke«, ihm gegenüber.
»Mensch, Jan. Hör doch. Du hast gesagt, wir wären in zwei Stunden draußen. Ohne Gewalt. Keiner würde verletzt, außer vielleicht dem Mistkerl Timber. Und jetzt sieh dich an ...«
Theodor Wildenau versuchte es mit einem ruhigeren Ton. Der Showproduzent Flummi starrte ihn fassungslos an. Im Gegensatz zu Timber ging ihm erst jetzt ein Licht auf.
»Hallo? Jan? Sind Sie noch dran?« Jetzt meldete sich auch noch Ira wieder zu Wort. »Ja. Aber es gibt nichts mehr zu besprechen.«
»Was ist das für ein Lärm bei Ihnen?«
»Nichts.«
Er drückte sie weg. Sammelte sich. Und brüllte: »Haltet endlich eure gottverdammten Fressen!« Seine Lautstärke steigerte sich mit jedem Wort, und das hatte den gewünschten Effekt. Die »Geiseln« schwiegen. »ICH sage, wann hier Schluss ist. ICH entscheide, wie es weitergeht. Geht das in eure Schädel?« Seine Stimme überschlug sich.
»Wenn wir jetzt aufgeben, haben wir alles verloren. ALLES!!! Ist euch das klar? Das ist doch deren Taktik. Sie wollen uns mürbe machen. Sie wollen, dass das hier gerade passiert. Denkt ihr, ihr könnt da einfach rausspazieren und sagen: >April, April - nicht böse sein. Alles nur ein Scherz. Ihr habt doch keine Ahnung! Wenn wir jetzt das Studio ohne Beweise verlassen, dann knasten sie euch alle ein. Dann war's das mit euren Karrieren. Eurer Zukunft! Dann seid ihr für die nichts anderes als durchgeknallte Irre, die mit einem Wahnsinnigen einen Radiosender gekapert haben.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, wir dürfen jetzt nicht aufgeben. Wir müssen durchhalten. Nur wenn wir der Öffentlichkeit beweisen, dass Leoni noch lebt -wenn wir die Verschwörung und ihre Hintergründe aufdecken -, nur dann haben wir alle eine Chance.«
»Aber was, wenn es überhaupt keine Beweise gibt?«, wollte Sandra Marwinski wissen. Sie lehnte sich an die Studiowand und entfernte die Kautschukeinlage unter i hrer Bluse. Der Vorhang war gefallen. Ihr Auftritt als Schwangere war nicht länger erforderlich. Heute würde sie auch nichts mehr über Anton erzählen müssen. Das Bild des behinderten Kleinkindes in ihrer Brieftasche hatte sie aus dem Internet heruntergeladen. »Du meinst, wenn ich wirklich irre bin? Wenn Leoni tatsächlich tot ist?«
Jan spürte seine Kräfte schwinden. Die psychische Anspannung laugte ihn aus. Außerdem hatte er seit Stunden nichts mehr gegessen. Sein Magen fühlte sich an, als hätte er sich auf die Größe einer Zwei-Euro-Münze zusammengezogen, und die Muskeln seines rechten Arms brannten wie Feuer. Schließlich war er es nicht gewohnt, so lange eine Waffe auf jemanden zu richten. »Okay. Ich mach euch einen Vorschlag. Ich geb's zu: Es lief heute nicht alles so, wie wir es geprobt haben. Ich habe mich verschätzt. Doch mal ehrlich. Keiner von uns hat doch ernsthaft geglaubt, dass die nach der ersten Hinrichtung nicht sofort die Karten auf den Tisch legen.«
»Weil sie es gar nicht können!«, erhob Timber das Wort. Jan ging nicht darauf ein.
»Ich hab erwartet, dass alles viel schneller funktioniert. Aber warum wird da draußen rumgetrickst? Warum setzten die euer Leben aufs Spiel? Die wissen doch gar nicht, dass wir uns kennen. Trotzdem fackeln sie nicht lange und schicken einen Scharfschützen durch den Schacht. Sie wollen nicht verhandeln. Sie weihen selbst die Verhandlungsführerin nicht in ihre Strategie ein. Stattdessen leiten sie die Anrufe um.« Er tippte
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