Amokspiel
und könnte nicht mehr den Sprengstoff aktivieren, von dem aber niemand mehr annahm, dass er ihn wirklich um den Bauch trug. Niemand außer Götz.
Er sah in der Digitalanzeige seines Helmes, dass erst vier Sekunden vergangen waren. Spätestens nach zehn Sekunden wäre die erste Schreckphase vorbei. Sobald Jan merkte, was hier im Gange war, würde er seine Schmerzen überwinden und eine Gegenmaßnahme in die Wege leiten.
Doch die Situation geriet von einem Moment zum nächsten außer Kontrolle. Der erste Schock war die Nachricht über Manfred Stuck, den UPS-Fahrer. Götz informierte die Einsatzleitung mit knappen Worten und wusste, welch lähmendes Entsetzen er damit verbreitete: »Tot. Stuck ist tot.«
Und das konnte nur bedeuten ...
... dass Jan doch gefährlich ist. Und dass er sich auf diese Situation vorbereitet hat.
»Abbrechen«, brüllte Götz in sein Mikrophon. »Zielobjekt ist gefährlich. Ich wiederhole ...« Der Lärm im ZGR wurde plötzlich lauter, ohne dass der Helikopter die Ausrichtung seiner Schallkanone verändert hätte. Und das konnte nur eine Ursache haben, die ein einziger Blick auf seinen Monitor Götz auch bestätigte: Jan stand in der Tür zum Erlebnisbereich. Das darf doch nicht wahr sein!, schrie Götz innerlich. Wie hält der Kerl das aus?
Tatsache. Auf dem Monitor war es glasklar zu erkennen. Jan May kam auf ihn zu. Ohne Kopfhörer, der Beschallung schutzlos ausgeliefert. Er musste Höllenqualen leiden. Aber ihn trieb der Mut der Aussichtslosigkeit. Götz sah nur eine verschwindend kleine Chance, den ZGR lebend wieder zu verlassen. Egal, welche Richtung er einschlug. Wenn er hier wieder raus wollte, musste er an Jan vorbei, der in dieser Sekunde seine linke Faust hochreckte, in der er ein kleines blinkendes Gerät hielt. Er sagte etwas, doch Götz verstand natürlich kein Wort. »Ausmachen. Stellt sofort die Kanone aus«, brüllte er in sein Headset. Einen Moment später war es schlagartig ruhig. Götz deaktivierte den elektronischen Hörschutz in seinem Helm und hörte, wie das Blut in seinen Ohren rauschte. Es bot eine unfreiwillige Untermalung für Jans aufgeregte Drohungen.
»Ihr habt es so gewollt. Ich schicke uns jetzt alle ins Jenseits«, rief der Geiselnehmer laut. Ganz offensichtlich versuchte er nach dieser Schallattacke, das anschwellende Sinus-Fiepsen in seinen Ohren zu übertönen. May war in Höhe der Spüle stehen geblieben und stand jetzt nur noch drei Schritte vom Eingang zum ZGR entfernt. Der ist vollkommen wahnsinnig.
Götz' letzte Chance war gekommen. Er hob den Körper des UPS-Fahrers an, zog ihn wie einen Schutzschild vor sich und verließ mit ihm den Raum. »Nicht schießen!«, schrie er dabei in Jans Richtung, der gar nicht erstaunt schien, ihn zu sehen. Er blieb gelassen stehen und wiederholte noch mal seine Drohung: »Ich hab euch gewarnt. Wenn ich auf diesen Knopf drücke, zerfetzt es uns alle. Ich hoffe, ihr seid bereit!« Ein schneller Blick auf den Monitor, und Götz sah, dass Onassis ins Studio klettern wollte. Eine Deckenplatte hatte er bereits gelöst. Anscheinend glaubte er, Götz helfen zu können, solange Jan in der Studioküche war und ihm den Rücken zudrehte.
»Ich bin nur gekommen, um den Mann hier rauszuho-len«, sagte Götz ebenso ruhig wie Jan und ging dabei rückwärts zur Tür, hinter der die Wendeltreppe lag, die hinunter zur Terrasse führte. Die Arme und den Kopf des UPS-Fahrers hatte er sich dazu über die Schulter gelegt. Stucks Rücken bot ihm einen zusätzlichen Schutz zu s einer kugelsicheren Weste. Doch die würde ihm auch nichts nützen, wenn der Geiselnehmer ernst machte und die Sprengladung zündete.
»Der bleibt hier«, forderte Jan. »Genauso wie Sie. Denn wir alle erleben jetzt ein ganz besonderes Feuerwerk .« Der Geiselnehmer hob die Faust. Erst jetzt entdeckte Götz die Pistole in seiner anderen Hand. Und dann ging alles ganz schnell.
Götz sah den roten Laserstrahl auf dem Monitor. Onassis erfasste Jan von hinten. Er trug keinen Helm, damit er seinen Kopf und eine Hand samt Waffe durch den schmalen Deckenschlitz schieben konnte. Gleichzeitig krümmte sich Jans Daumen über der Funksteuerung in seiner Hand, mit der er die Explosion auslösen würde. Onassis durfte jetzt maximal noch eine halbe Sekunde abwarten, dann musste der Lähmungsschuss kommen. Der aber nicht funktionieren wird, dachte Götz. Onassis' Waffe hat einfach eine zu hohe Durchschlagskraft. Aus dieser Entfernung würde Jan sicher sterben. Und dann
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