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Amokspiel

Amokspiel

Titel: Amokspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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wohltuende Ablenkung. Ira hatte bereits nach wenigen Sekunden des akustischen Terrors das schreckliche Gefühl, als würde sie permanent auf einer Aluminiumfolie herumkauen. Auch Diesel war wieder aufgewacht und verzog sein blutverkrustetes Gesicht.
    »Sollten Sie mir bis dahin nicht sagen, wo ich Leoni finde, werde ich Sie im >Erinnerungszimmer< vergessen.« Die Tür schnitt Marius' Lachen über sein dümmliches Wortspiel ab, sobald der Riegel hinter ihm ins Schloss fiel.

6.
    Ira stand unter dem Lüftungsgitter und suchte vergeblich nach einer Möglichkeit, den Gürtel ihrer Hose daran zu befestigen. Die stählernen Lamellen standen so dicht wie bei einem feinen Kamm. Außerdem war die Decke zu hoch, und Diesel würde ihr wohl kaum eine Räuberleiter bauen, damit sie sich hier drinnen erhängen könnte. Sie schloss kurz die Augen, um dem Anblick der Wandbema-lung zu entgehen, der einen Zustand ähnlich einem LSDRausch erzeugte, was jedoch die akustische Reizüberflutung nur noch intensivierte. Ihr nächster Blick fiel auf das Whiskeyglas am Boden neben der Tür. Warum habe ich nur die Kapseln zu Hause gelassen? Warum bin ich überhaupt heute Morgen aus meiner Wohnung gegangen?, dachte sie verzweifelt. Sie riss ihr T-Shirt hoch und steckte sich zum wiederholten Male die verdrehten Hemdzipfel in beide Ohren. Aussichtslos. Die Töne hier drinnen hörten sie über ihre Knochen. Die entsetzlichen Schwingungen benutzten Brustkorb und Schädel als Resonanzkörper.
    Ira ließ sich an der Wand herabgleiten und griff das Glas. Leider vertrug sie mittlerweile so viel, dass der hochprozentige Inhalt sie kaum schläfrig machen würde, geschweige denn bewusstlos. Trotzdem würde sie es jetzt in einem Atemzug leeren. Sie wollte gerade ansetzen, als Diesel etwas Unverständliches von der anderen Ecke des Zimmers aus zu ihr rübergrunzte. »Was?«
    »Nicht trinken!«, keuchte er noch mal. »Du meinst, es ist vergiftet?«, fragte sie ihn in der Hoffnung, sie könnte eventuell so dem Ganzen ein schnelleres Ende setzen.
    »Nein, es ist unsere einzige Rettung.« Diesel kroch auf allen vieren zu ihr herüber und nahm ihr vorsichtig das Glas aus der Hand. Er sah es an, als wäre es eine verehrungswürdige Reliquie, während er es mit zitternden Fingern sachte auf den Fußboden zurückstellte. »Und was jetzt?«, fragte Ira. »Jetzt musst du dich ausziehen.«

7.
    Bei allen psychischen Schmerzen hatte die weiße Folter zumindest eine positive Nebenwirkung: Diesels Überlebensgeister waren wieder voll erwacht. »Auch die Unterwäsche?«, fragte sie ihn. Bis auf Slip und BH stand Ira nackt mitten im Raum. Auch Diesel trug nur noch eine zerknitterte Boxershorts, und allein für den Anblick seines tätowierten Oberkörpers hatte es sich gelohnt, dass er sein T-Shirt ausgezogen hatte. Jetzt konnte Ira auf ein changierendes Flammenmeer um den Bauchnabel des Chefredakteurs starren und war für wenige Sekunden von ihrer Umgebung abgelenkt. »Deine Reizwäsche kannst du anbehalten, so gut kennen wir uns noch nicht«, erklärte Diesel grinsend und entblößte eine lückenhafte Zahnreihe. Schuwalow war nicht gerade zimperlich gewesen.
    »Ich verstehe immer noch nicht, was das bringen soll«, sagte Ira, während Diesel den hochprozentigen Strohrum über das Wäschebündel zu ihren Füßen goss. »Tut mir leid wegen des Drinks, aber ich schwöre dir, ich lad dich zu einer ganzen Flasche ein, wenn uns die Abreise gelingt.« Diesel griff in seine Hosentasche und zog ein Päckchen Streichhölzer hervor. »Ich verlass das Haus nie ohne meine Arbeitsgeräte«, kommentierte er, erneut lächelnd. »Sag mir, dass du das wirklich tun willst.«
    »Ein Lagerfeuer machen? Was denn sonst?« Diesel zog das erste Streichholz über die Reibefläche. Erfolglos. Er fingerte ein zweites hervor. »Was, wenn dein Plan nicht funktioniert?«
    »Vertrau mir. Über uns befinden sich Büros, Geschäfte und sogar Wohnungen. Ich habe vier Jahre in diesem Komplex gearbeitet, bevor der Sender an den Potsdamer Platz zog. Die haben eine extrem sensible Rauchmeldeanlage. Meinetwegen musste zweimal die Feuerwehr anrücken, nur weil ich im Büro geraucht hatte.« Ira verschränkte ihre dünnen Arme vor dem Oberkörper.
    »Aber wer sagt dir denn, dass dieser Raum hier mit der Hausanlage verbunden ist?«
    »Niemand.«
    Die Flammen züngelten an Iras Cargo-Hose und fraßen bereits ein Loch durch Diesels T-Shirt. Wie bei den meisten Feuern in geschlossenen Räumen schritt auch bei diesem

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