Amokspiel
Kitty?«, stellte sie ihre nächste Frage. Die wichtigste.
»Darüber reden wir, wenn du dich erholt hast«, versuchte Götz zu beschwichtigen, doch diesmal konnte selbst die gebrochene Rippe Ira nicht mehr auf der Liege halten. »Halt, wir müssen Sie ins Krankenhaus bringen!«, forderte der Notarzt.
»Wozu?«, wollte Ira wissen und schüttelte Götz' helfende Hand ab.
»Um Sie zu behandeln, um zu untersuchen, wie schwer die Schädigungen der Organe sind, um ... «
»Das können Sie sich alles sparen«, unterbrach Ira die Aufzählung des fassungslosen Mediziners und riss sich die Kanüle aus dem Arm. »Ich hab da meinen eigenen Test.«
»Wie bitte?«, fragte der Arzt völlig konsterniert. Ira drehte sich um.
»Schauen Sie her. Blute ich aus den Augen?« Er schüttelte den Kopf.
»Dann kann's weitergehen«, sagte Ira, hangelte sich an einem Tragegurt zum Heckausstieg des Krankenwagens und stolperte die Metallstufe hinunter.
»Du siehst echt beschissen aus«, brach Götz als Erster das Schweigen. Der Großeinsatz der Feuerwehr hatte nun auch den Kurfürstendamm lahmgelegt, und sie schlängelten sich in seinem Dienstfahrzeug durch die Nebenstraßen Richtung Mitte.
»Ich kann nichts dafür. Ihr habt mir diese billigen Klamotten gegeben«, antwortete sie ihm lakonisch. Sie steckte in einem dieser froschgrünen Polizeitrainigsanzüge, die das SEK sonst nur Kriminellen anzog, die man bei ihrer Verhaftung nackt aus dem Schlaf gerissen oder in einem Bordell verhaftet hatte.
Ira starrte von ihrem Beifahrersitz auf die Fahrbahn. Dann schraubte sie langsam das Novalgin-Fläschchen auf, das ihr der verstörte Notarzt zähneknirschend mitgegeben hatte. Auf keinen Fall würde sie kostbare Zeit im Krankenhaus für sinnlose Untersuchungen verschwenden, bei denen sich eh nichts zeigte, als was sie ohnehin schon fühlte. Dass sie am Ende war. »Und jetzt?«, wollte Götz wissen.
Sie schaute müde zu ihm rüber. Na wunderbar. Wenigstens die Nebenwirkungen des Novalgins setzten schon ein.
»Jetzt müssen wir Kitty retten. Und das schaffen wir über Faust«, antwortete sie ihm. »Er ist der Schlüssel!«
Götz hob die rechte Augenbraue, sah sonst aber nicht sonderlich überrascht aus. Er überholte einen langsamen LKW und blieb auf der linken Spur.
»Erzähl mir erst, was da gerade passiert ist. Wer wollte dich umbringen?«
»Marius Schuwalow.« Ira gab ihm, so schnell es ging, einen Abriss der Informationen, die ihr der Chef des organisierten ukrainischen Verbrechens in Berlin gegeben hatte. »Leoni lebt, und Schuwalow will ihn dafür umbringen lassen. Faust hat deshalb eine Maschine gechartert und wird das Land verlassen. Wir dürfen also keine Zeit verlieren«, schloss sie.
»Ich muss dich auf die Wache bringen, Ira.« Götz sah sie aus den Augenwinkeln an. Eine Sorgenfalte zog sich quer über seine Stirn. »Oder ins Krankenhaus. Aber auf keinen Fall woanders hin.«
»Ich weiß.« Sie atmete aus. Er setzte schon genug für sie aufs Spiel.
»Warum rufen wir nicht einfach im Studio an und sagen Jan, was wir wissen?«, schlug Götz vor. Ira antwortete, ohne ihn anzusehen. »Weil wir keinen Beweis haben. Kein Foto, keine Telefonnummer. Er hat keinen Grund, uns zu glauben. Nein.« Sie schüttelte vorsichtig den Kopf. »Er will Leoni im Studio haben. So wie ich sein Persönlichkeitsprofil einschätze, würde er sich noch nicht einmal zufriedengeben, wenn wir Leoni ans Telefon bekommen.«
Sie verzog ihr Gesicht. Ihr Brustkorb schmerzte mit jedem Atemzug etwas mehr, und sie fühlte sich, als drückte ein unsichtbares Gewicht ihren Körper in den Autosessel. Dann erkannte sie, dass das Gewicht einen Namen hatte. Es hieß Angst.
»Du hast mir immer noch nicht gesagt, wie es Kitty geht«, sagte sie und bemühte sich erst gar nicht darum, ihrer Stimme einen neutralen Ton zu geben. Sie wollte das Autoradio einschalten, doch Götz hielt sie davon ab. »Gut«, sagte er und hielt ihre Hand fest.
»Aber?«
»Aber es hat eine Entwicklung gegeben, während du verschleppt wurdest.«
»Was ist passiert?« Iras Kehle war so trocken, dass sie die Worte nur mit Mühe verständlich artikulieren konnte. »Jan hat sechs Geiseln freigelassen!« Sechs? Weshalb so viele? Wieso nicht alle? »Wer ist noch drin?«
Sie las die schreckliche Antwort in seinen Augen. O mein Gott...
»Wir vermuten, er konnte sie alle gemeinsam im Studio nicht mehr unter Kontrolle halten«, erklärte er. »Die Geiseln wollten nicht mehr mitspielen, nachdem es Tote
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