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Amokspiel

Amokspiel

Titel: Amokspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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»Billigste Ramschgeschäfte in den teuersten Gegenden? Boutiquen, die mehr Personal als Kunden haben, und verlassene Kneipen wie diese hier?«
    Marius' Mann fürs Grobe zog die Tür auf und kippte Diesel, der wie eine Teppichrolle über seiner Schulter hing, kopfüber in den Raum hinein. Der Chefredakteur begann zu husten, als er auf dem Fußboden aufschlug. »Ich erklär's Ihnen«, sagte Schuwalow fröhlich, als wäre er ein Makler, der einem neuen Klienten zu vermietende Räume vorführt. »Einige von diesen Lokalitäten gehören mir. Und wie so oft im Leben offenbart sich die eigentliche Geschäftsidee erst auf den zweiten Blick. In diesem Fall ist es das Zimmer hier.«
    Ira schwankte und musste sich dringend irgendwo festhalten, nachdem sie den ersten Blick hinein geworfen hatte, aber sie wollte lieber hinschlagen, als Marius' helfende Hand in Anspruch zu nehmen.
    »Was ist das?«, keuchte sie, obwohl es ihr eigentlich egal war, denn sie würde unter keinen Umständen diesen Raum betreten. Er war leer, wie der Rohbau einer Baustelle. Kein Tisch, keine Stühle, keine Heizung - es gab nichts, was die Augen von dieser grauenhaften Tapete ablenken konnte, die sich über den Fußboden, die Decke und alle Wände gleichmäßig erstreckte. »Ich nenne es das >Erinnerungszimmer<.« Marius nahm Ira das Glas ab und schob sie in den Raum.
    Sie war zu ausgelaugt, um sich dagegen zu wehren. Schon nach dem zweiten Schritt stolperte sie über ihre eigenen Füße und musste sich an die Wand lehnen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Jetzt, da sie die Tapete berührte, war deren Wirkung sogar noch ekelhafter. Die gesamte Kammer war eine einzige optische Täuschung, die den Betrachter glauben machte, er befände sich inmitten eines abwärtsführenden Strudels.
    Weiße Folter, schoss es Ira durch den Kopf. In Fachkreisen wurde diese Foltermethode auch sensorische Deprivation genannt. Normalerweise wurden den Delinquenten dazu Augen, Ohren, Mund und Nase verbunden, während sie mit gefesselten Händen stundenlang auf dem Boden knien mussten. Die weiße Folter war bei den ausländischen Geheimdiensten gerade deshalb so beliebt, weil sie keine körperlichen Spuren hinterließ, und Schuwalow schien die Methode noch verfeinert zu haben. Einerseits wollte er sie in Isolationshaft stecken, andererseits setzte er sie mit dieser unerträglichen Wandbemalung einer optischen Reizüberflutung aus.
    »Müßig zu erwähnen, dass Sie hier drinnen keiner hören wird, sobald ich die Tür wieder schließe. Außer für den vielleicht etwas zu grellen Halogenscheinwerfer an der Decke gibt es weder Strom noch Gas oder Wasser. Ihre Handys sind selbstverständlich ebenfalls ihrer Funktion beraubt. Nur die Luft zum Atmen lasse ich Ihnen.« Marius sah an die Decke.
    »Aber brechen Sie sich nicht die Fingernägel ab. Das kleine Gitter zum Lüftungsschacht ist verplombt, und außerdem würden Sie da noch nicht mal mit dem kleinen Finger durchpassen.«
    »Wie lange?«, fragte Ira.
    »Ich sehe, Sie haben begriffen, worauf es hinausläuft, Frau Samin. Wann immer meine Geschäftspartner nicht auf die üblichen Diskussionsmethoden anspringen wollen, bringe ich sie hierher, in mein >Erinnerungszimmer<. Die Umgebungsveränderung bewirkt oft Wunder. Nach kurzer Zeit schon fällt den meisten der Sachverhalt wieder ein, der mir am Herzen liegt.« Marius grinste. »Bislang habe ich nicht herausgefunden, ob es an der extravaganten Inneneinrichtung oder an der fehlenden Wasserversorgung liegt. Verstehen Sie jetzt, warum ich Ihnen noch einen Drink mit auf den Weg geben wollte?« Marius stellte das Glas, aus dem Ira nur einen Schluck getrunken hatte, vorsichtig auf den Boden. »Ach ja, ein Letztes: Normalerweise komme ich einmal pro Woche wieder und bringe ein kleines Picknick mit. In Ihrem Fall drängt allerdings etwas die Zeit, so dass ich mir etwas überlegt habe, was Ihr Erinnerungsvermögen beschleunigen könnte.«
    In dem Geräusch, das Ira als Nächstes hörte, schien es einem Tonmeister des Grauens gelungen zu sein, die Essenz körperlichen Schmerzes akustisch zu konzentrieren. Die oszillierenden Sinustöne in einem Frequenzbereich nur knapp über der menschlichen Wahrnehmbarkeits-grenze gruben sich in Iras Schmerzzentrum, als wären ihre Ohren ein unbetäubter, entzündeter Wurzelkanal, auf dem die Schallwellen wie ein verrosteter Zahnarztbohrer aufprallten.
    »Ich komme morgen früh wieder«, sagte Schuwalow, und diese fünf Worte waren schon eine

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