Amputiert
Forschung dar. Lassen Sie mich ein wenig ausholen und es Ihnen erklären.
Die Durchblutung ist offensichtlich wichtig, wir jedoch haben herausgefunden, dass es noch entscheidender ist, die Vielzahl der freiliegenden Nervenenden elektrisch zu stimulieren. Erinnern Sie sich daran, wie wir davon gesprochen haben, dass die Nervenzellen in einer Reihe angeordnet sind? Nun, das menschliche Nervensystem ist unglaublich komplex, aber im Wesentlichen besteht es aus den Nervenzellen, den Synapsen oder Lücken dazwischen, dem Rückgrat, das als Busleitung für die Reize dient, und dem Gehirn, das alles steuert. Das Gehirn lässt sich mit einer großen Batterie vergleichen, die elektrische Impulse produziert und über das Rückenmark Zelle für Zelle einen bestimmten Nervenstrang entlangsendet, um eine spezifische Stelle zu erreichen. Das nennt sich Elektrotonus und entspricht dem geänderten Zustand eines Nervs, wenn elektrischer Strom durch ihn geleitet wird. Sie müssen wissen, all das vollzieht sich fast sofort, und es ist wesentlich komplizierter, als ich es ausgeführt habe, aber nicht annähernd so komplex, wie man einst dachte.
Nehmen wir die Hand, die Sie in dem Video gesehen haben. Normalerweise würde das Gehirn das Signal die richtige Nervenleitung entlangsenden, um der Hand mitzuteilen, sie soll beispielsweise den Zeigefinger krümmen. Mein faseroptisches Netzwerk ist in der Lage, exakt dasselbe zu bewirken. Die Hand aus dem Video hat keine Ahnung, dass sie sich nicht mehr an einem Arm und einem Körper befindet. Sie erhält immer noch das elektrische Signal, einen ihrer Finger zu bewegen. Soweit es die Hand betrifft, macht es keinen Unterschied, dass der Reiz über einen Draht statt über einen Strang von Nervenzellen übertragen wird. Die Funktion des Gehirns übernimmt bei diesen Experimenten ein hoch entwickeltes Computerprogramm, zwar nicht annähernd so komplex wie ein organisches Gehirn, aber mühelos in der Lage, die rudimentären Aufgaben zu erfüllen, die wir von ihm verlangen.«
Der Wissenschaftler hielt inne, um zu sehen, ob wir ihm folgen konnten. Für mich ergaben seine Worte durchaus Sinn, aber die anderen schüttelten verwirrt die Köpfe. Statt eine Unzahl von Fragen zu beantworten, hob Dr. Marshall die Hand, um uns davon abzuhalten, sie zu stellen, und fuhr mit seiner Erklärung fort.
»Gehen wir es langsam durch. Ich hoffe, dadurch wird es klarer. Also, wenn ein Glied ein so schweres Trauma wie eine unfallbedingte Amputation erleidet, werden unweigerlich viele Nervenzellen zu stark beschädigt, um zu überleben. Dagegen kann niemand etwas unternehmen, auch ich nicht. Deshalb ist es falsch, das Glied sofort am Körper des Patienten anzunähen. Damit verbindet man nur zwei tote Nervenzellen miteinander und blockiert effektiv den Weg, über den die Signale aus dem Hirn normalerweise reisen.
Durch winzige, in das freiliegende Körpergewebe eingesetzte elektrische Empfänger und Sender haben wir herausgefunden, dass die Nerven darunter noch intakt sind und sich fragen, was um alles in der Welt los ist. Nicht im Oberflächengewebe, wo die Nervenzellen größtenteils tot oder viel zu stark beschädigt sind, sondern darunter, im nächsten Glied der Kette, wenn man so will. Dort sind die Nerven nach wie vor unversehrt und warten auf die nächsten Signale des Gehirns.
Unser Mainframecomputer verfolgt das von ihm ausgesendete Signal, und wenn es von einer Nervenleitung in der Gliedmaße empfangen wird, erfasst der Computer die Stelle und versorgt sie weiter mit elektrischen Reizen. Dabei hat er natürlich wechselnden Erfolg, aber wir versuchen, so viele unbeschädigte Nervenleitungen wie möglich aufzuspüren, dann lehnen wir uns zurück und warten. Läuft alles wie geplant, beruhigt sich das traumatisierte Glied und fängt an, sich zu verhalten, als wäre nichts geschehen. Es erhält eine mehr als ausreichende Blutversorgung und wird konstant von einer Gehirnsimulation elektrisch stimuliert. Das ist wiederum stark vereinfacht ausgedrückt, aber im Wesentlichen sind das die einzigen beiden Dinge, die das Glied benötigt.
Die spastischen, ruckartigen Bewegungen, die Ihnen zweifellos in dem Video aufgefallen sind, werden von uns ausgelöst. Die Körperteile brauchen eigentlich nicht so viel Stimulation, um gesund zu bleiben, aber wir tun es trotzdem, um zu verhindern, dass die Muskeln verkümmern.
Es ist keineswegs ein perfektes System, und manchmal sind unsere Bemühungen trotz allem vergeblich, aber
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